Mein irisches Tagebuch
verzieht das Gesicht, als hätte sie Schmerzen.
Dann berichte ich ihr von dem stürmischen St. Patrick’s Day in Cahirciveen. Sie lauscht aufmerksam, vorgebeugt, und sagt dann: »In Dublin war es noch schlimmer - Schneeregen. Da waren 100 000 Leute auf der Straße, die sind fast weggeweht worden. Genau so in Limerick und Waterford. In Cork soll aber die Sonne geschienen haben, die ganze Zeit.« Sie weist auf den Bildschirm, wie um zu erklären, woher sie ihre Kenntnisse hat. Nach einer Weile meint sie: »Das mit dem Busen, das wäre zu meiner Zeit nicht möglich gewesen.«
Es ist halb acht. Als ich aufstehe, fragt sie: »Haben Sie sich was zu essen gemacht?«
»Ja, Irish stew.«
Sie kichert, nuschelt, ich will wieder »hopeless« gehört haben. Dann sagt sie: »Das ist gut, aber nur, wenn man es richtig macht, wie bei Grudle’s. Haben Sie es richtig gemacht, ganz nach dem Rezept?«
»Ja«, lüge ich, wild entschlossen, vor ihr die Weißkohl-Zugabe zu verheimlichen.
Sie bringt mich zur Tür, steckt ihren Kopf hinaus, zieht ihn gleich wieder zurück, ruft: »Huh!« in den Sturm hinein, und dann, zum erstenmal: »Good bye - my dear.«
Das war der Ritterschlag! Seit dieser Stunde bin ich mit Maureen Griffin per Du.
Gegen 24 Uhr befinden sich in dem Topf mit Irish stew nur noch Reste - ich konnte nicht aufhören zu essen, wegen des zu vollen Magens kann ich nun aber auch nicht schlafen.
Nach Mitternacht werfe ich die Decke von mir und gehe ans Fenster.
Der Wind hat nachgelassen. Über dem Vorgebirge der St. Finan’s Bay dräut ein praller Vollmond, so leuchtend gelb, daß sein Licht die Sterne aussticht - der Himmel ist eine schwarze Decke. Dabei ist die Luft durchsichtig. Vom bull her, dreißig Kilometer entfernt, blinkt es alle sechzehn Sekunden stechend auf, und rechts huscht gleitend das Licht vom Großen Skellig über das Wasser. Ganz hinten, am Horizont, sehe ich die Toplichter der Fischerboote.
Beruhigt lege ich mich wieder hin - so ist die Welt in Ordnung.
Zum Frühstück verzehre ich die letzten Spuren des Irish stew, entdecke dabei aber, daß es angesetzt hatte - der Boden des Topfes zeigt häßliche braune Flecken. Ich kenne mich, weiß, daß ich davor versage, daß meine Küchenfähigkeiten nicht ausreichen, um die Schande zu beseitigen, und hoffe auf Maureen.
Sie kommt gegen neun, wie jeden Morgen, wenn ich im Haus bin, ruft beim Anklopfen, wie zur Bestätigung von gestern abend, »My dear!« und ist sofort bereit, meinen Ruf bei den freundlichen Gastgebern vor Schaden zu bewahren. Also macht sie sich gleich an die Arbeit, schrubbt und glättet, spült und wäscht. Dabei habe ich ein paar Sekunden den unbestimmten Eindruck, als stutze sie mit einem kurzen Blick auf mich, vergesse es aber gleich wieder, weil sie, ganz auf den verschmorten Boden konzentriert, weitermacht.
Jetzt kommt sie zu auf mich, der ihr demütig, am Tisch in der Eßdiele hockend, bei der Arbeit zugeschaut hat, läßt mich in den sauberen Topf schauen, klopft von unten gegen das Metall und bemerkt mit Grabesstimme: »Aber Weißkohl gehört nicht zu Irish stew!«
Als sie mein verblüfftes Gesicht sieht, lacht sie scheppernd.
Mit einem Mühlstein um den Nacken ins Meer
Meine überregionalen und nationalen Informationen beziehe ich aus der Lektüre der beiden Tageszeitungen »The Irish Independent« und »The Irish Times«.
Wie andere Printmedien auch, beschäftigt sich fast jede Ausgabe der beiden Blätter ausführlich mit fünf ständig wiederkehrenden Themen: sexueller Mißbrauch von Kindern - Gewalt gegen Frauen - Abtreibung - Zölibat - Ehescheidung. Grundtenor: In jeden dieser Problemkreise ist die älteste Institution Irlands, die katholische Amtskirche und ihre zeitgenössische Hierarchie, bis zum Hals verstrickt.
Ihr hartnäckiger Widerstand gegen Wandlungen und echte Reformen, die indolente Resistenz gegen überfällige Lösungen stoßen auf eine öffentliche Erbitterung, deren Ausdauer und Schärfe bis vor kurzem noch ganz undenkbar gewesen wären. Dabei wird von dieser Kritik niemand ausgenommen, weder
Bischof noch Kardinal, nachdem Woche für Woche neue, dem klerikalen Establishment bekannte und dennoch unterschlagene Straftaten aufgedeckt werden, die einfache Priester, aber auch hohe Würdenträger begangen haben. Gleichzeitig wird in den Zeitungen aber auch Kritik an Eltern geübt, und zwar weit hinaus über die priesterlichen Fälle. Denn selbstverständlich sind die Täter nicht nur in den
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