Mein irisches Tagebuch
Mutter ums gleichmütige Maul und lernen jede Minute die Welt ein wenig genauer kennen.
Im Topf gart es so vor hin, duftend, aber für eine Person, wie ich bei geöffnetem Deckel finde, allzu großzügig bemessen. Doch darf es ja für ein paar Tage reichen.
Wie bereits als Kind, kann ich ich nicht warten, bis es fertig ist, und so nehme ich denn schon mal eine Kostprobe- halbgar, aber wundervoll! Was mir Bigos in Ostpreußen war, das soll mir hier Irish stew werden, vielleicht sogar jede Woche einmal. Es braucht ja nicht immer soviel sein, daß davon drei satt werden könnten.
Die Sache darf jetzt niederen Hitzegraden überlassen werden, und so gehe ich vor Tisch noch einmal hinüber zu Maureen - ich hatte versprochen, vom St. Patrick’s Day in Cahirciveen zu berichten.
Um zu Maureen zu gelangen, brauche ich mich nicht anzustrengen. Der Weststurm treibt mich mühelos die Rampe hoch und bis vor ihre Tür.
Das gelbe Haus, in dem Maureen Griffin mit ihrem Sohn Michael wohnt, wurde 1908 gebaut. Davor, auf der anderen Seite des Weges, der nach Puffin Island führt, lastet ein ungeheurer Stapel Torf. Die Schafställe daneben sind leer, alle Tiere draußen. Auf dem Hof ein gewaltiger Misthaufen, im Stall, eng beieinander, sechs Kühe und ein Bulle. Hinter einer geschlossenen Tür kläfft ein Hund. Unter freiem Himmel eine Maschine, um Rüben zu zerschneiden, dazu eine Ansammlung von Leitern, Brettern, Futtermitteln, Drahtgestellen, großen Tonnen.
Als Maureen mich sieht, kommt sie heraus, zieht mich in die Küche und kündigt einen Tee für uns beide an. Ich sehe mich um. Im Herd brennt ein Torffeuer, darüber hängt ein Stiefelpaar zum Trocknen. Zusätzlich gibt es einen Propangaskocher mit zwei Flammen. Kühlschrank, Radio, Fernseher - alles da.
Eine Uhr schlägt sechs. An den Wänden die heilige Familie, Jesus, Maria, Joseph, sehr idealisiert. Der Gottessohn auch allein, über dem Bildschirm, mit dem Strahlenkranz ums Haupt. Daneben ein Ewiges Licht, elektrisch. Allenthalben Fotos, von Enkeln und Enkelinnen. Auf einem Schrank Trophäen, errungen von ihrem Sohn Michael, der Hunde züchtet: zwei Beagles aus Porzellan, »Portmagee 1986«, und andere Auszeichnungen.
Der Tee ist fertig, Maureen läßt sich auf dem Sofa nieder.
Statt daß ich erzähle, animiere ich sie vorsichtig selbst dazu. Der Vater, John Griffin, war Farmer, die Mutter hieß Brigit. Hier, im oberen Stockwerk, wurde Maureen geboren, am 20. Juli 1924. Mit sechs Jahren kam sie in die Schule, ein langer Fußweg bis Ballinskelligs. »Ich war eine mitdere Schülerin.« Lesen, Schreiben, Geschichte, Geographie, Rechnen und Gälisch. »Ich habe das meiste davon vergessen.« Mit vierzehn ging Maureen von der Schule ab, danach half sie ihren Eltern auf dem Hof - »Kühe hüten und melken«.
Geheiratet hat sie 1948, mit 24, einen achtzehn Jahre älteren Mann. »Die Leute behaupteten, er sei zu alt für mich, aber sie irrten sich. Er hat mich nie geschlagen, ein Gentleman - ich war glücklich mit ihm.«
Es folgten vier Kinder - zwei Söhne, zwei Töchter. Jetzt hat sie zehn Enkelkinder. »Zwei davon, Jungen, liebe ich mehr als die anderen, ich weiß nicht, warum.« Dann, stolz: »Keines meiner Kinder oder Enkelkinder ist ausgewandert, kein einziges.«
Elektrisches Licht kam erst 1978, drei Jahre, bevor ihr Mann starb. »An Rheuma, in allen Gelenken, auch in den Fingern, seit 1955, über zwanzig Jahre. Der Tod war eine Erlösung. Gott segne ihn.«
Maureen und Michael Griffin leben vom Verkauf der Schafe und Kälber. Der Sohn bleibt unsichtbar, ich spüre, daß er nicht gefragt werden will, und Maureen tut nichts, um mich zu ermutigen, es zu wagen.
Sie steht um acht Uhr auf, macht Frühstück für sich und Michael, füttert dann die beiden Katzen und zwei Hunde und ist bis zwölf mit der Hausarbeit fertig. Danach hilft sie ihrem Sohn beim Vieh.
Sie bekommt seit fünf Jahren eine kleine Rente, geht seit drei Jahren am Stock, hat es mit der Bandscheibe und war deswegen schon im Krankenhaus gewesen. »Eingegipst. Es war furchtbar.« Sie hat starke Schmerzen, kann in ihrem Alter aber nicht auf Besserung hoffen.
»Einmal im Monat kommt der Doktor.«
Ich sitze vor dem torfbefeuerten Herd in rauchiger Wärme und höre zu. Maureen kommt schwer hoch aus dem Sessel, gießt Tee in die Kanne, schenkt erst mir, dann sich ein. Unnahbar, pflegt sie sich jede körperliche Hilfe zu verbitten. Die Krücke lehnt an der Wand. Manchmal faßt sie sich an den Kopf und
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