Mein irisches Tagebuch
zweiten großen Thema öffentlicher Auseinandersetzung: der Gewalt gegen Frauen. Nirgendwo sind mir erschütterndere Zeugnisse dafür vor Augen gekommen als in Irland.
Gerade wird das Martyrium einer irischen Frau bekannt, die seit Beginn ihrer Ehe vor 22 Jahren von ihrem Mann geschlagen worden ist, Tag für Tag, sozusagen als selbstverständliches Programm ihrer Un-Beziehung. Daraufhin sprechen aus Briefen an die Presse ein Entsetzen und eine Empörung, die ich gern hinterfragt hätte. Zum Beispiel: Wo waren die Nachbarn des Ehepaars, warum haben sie nicht eingegriffen? Es kann doch nicht alles verborgen geblieben sein von dem, was sich da regelmäßig ereignete. Und weiter: Das schriftlich geäußerte Entsetzen tut so, als werde hier etwas Einmaliges, eher Seltenes aufgedeckt. Genau das aber stimmt nicht, lassen alle Erfahrungen mit den familiären Strukturen Irlands doch keinen anderen Schluß zu, als daß Gewalt gegen Frauen sehr verbreitet ist. Nicht verbreiteter vielleicht als in anderen Ländern, Deutschland eingeschlossen. Aber so, wie es ist, ist es schlimm genug und will ganz und gar nicht passen zu den allzeit freundlichen Iren, denen ich bisher begegnet bin.
Bis vor zwanzig Jahren waren Frauenhäuser in Irland unbekannt. Damals, 1976, wurde in der Grattan Street von Cork das Edelhouse Residential Centre gegründet, the emergency night shelter, in das sich mißhandelte Frauen flüchten und während der unmittelbaren Krise bleiben konnten. Ein anderes Frauenhaus wurde in Dublin errichtet, dort können, wie später auch in Cork, Frauen länger verweilen und versuchen, ihr Selbstwertgefühl wiederzufinden.
Das Dubliner Haus hat sechs Wohneinheiten, in denen Frauen drei Wochen bleiben können. Wer von ihnen nicht zurückkehren will, kann den außerfamiliären Aufenthalt noch einmal auf der Langzeitstation von Edelhouse verbringen (Longstay section). Aber auch dort dürfen Frauen nicht auf Dauer bleiben.
Ganz abgesehen davon, daß in den irischen Frauenhäusern nur die Spitze des Eisbergs sichtbar wird, die eigentliche Problematik der Institution ist offensichtlich. Je länger von ihren Männern geschundene Frauen in ihr verweilen, desto härter wird es für sie sein, in das alte Milieu zurückzukehren. Was nutzt es ihnen, wenn sie in Edelhouse und ähnlichen Stätten ein Gefühl der Ruhe und Geborgenheit gewonnen haben, sich danach aber wiederfinden in einer Umgebung, die das Motiv für ihre Flucht war? Finden sie doch meist nach ihrer Rückkehr eben jene Zustände vor, die sie von dort vertrieben haben. Das Provisorische der Einrichtung ist fatal. Die Frauen, die ihren häuslichen Qualen entkommen sind und ganz neue Werterfahrungen gemacht haben, leiden nach der Entlassung unter der Fortsetzung ihres Schicksals nur um so schlimmer. Irlands Zeitungen sind voll von Beispielen, wie rasch gewonnene oder wiedergewonnene Würde in sich zusammenfällt, wenn jene häuslichen und familiären Zustände aufs neue hergestellt werden, die sie zerstört hatten.
Auch in Irland sind Frauenhäuser ein Versuch, Heimatlosigkeit zu bekämpfen und bedrohte Frauen und Mädchen zu ermutigen, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Aber so lange die sozialen Ursachen für die Gewalt gegen Frauen andauern (darunter gewiß die hohe Arbeitslosenquote), wird die Institution nicht viel mehr als Sozialkosmetik sein, ein Beruhigungsmittel für das schlechte Gewissen der Gesellschaft, so bewundernswert die Leistungen einzelner auch sein mögen.
Das ganze Elend offenbart sich erst richtig, wenn man die Zahlen kennt, die sich hier gegenüberstehen, nämlich die paar dutzend Kinder und Frauen, denen in den letzten Jahren geholfen wurde, und eine Wirklichkeit, die mit Zigtausenden solcher Fälle aufwartet.
Wer die öffentliche Behandlung des Problems hier an Ort und Stelle beobachten und verfolgen kann, der erkennt sehr rasch, daß die Amtskirche gegenüber dem Thema »Gewalt gegen Frauen« die gleiche Haltung einnimmt wie gegenüber dem sexuellen Mißbrauch von Kindern - verschweigen, verdrängen wie eh und je. Nur daß ihr in der liberalen Presse jetzt ein ebenbürtiger Gegner entstanden ist.
Dritter Schwerpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung ist die Abtreibung. Nicht nur die Amtskirche, auch die Richter des höchsten Gerichts haben sich hinter die kompromißlose Formel des Papstes und seiner »Evangelium vitae« gestellt: Abtreibung sei Tötung, und das ohne Ausnahme. Aber auch dagegen regt sich in Irland
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