Mein irisches Tagebuch
ein bisher ungewohnter Widerstand. Immer mehr Irinnen und Iren weigern sich, einzig und allein vom ungeborenen Leben auszugehen, ohne die Umstände des geborenen Lebens zu berücksichtigen und das Recht der Frau auf eigene Entscheidung. Dabei scheint die Kluft zwischen dem Anspruch der Moralisten in Kirche und Justiz und den sexuellen Praktiken nirgends größer zu sein als hier.
Die Zahl der Irinnen, die am Morgen danach die Pille nehmen, besonders nach Feiertagen wie Weihnachten und Ostern, wächst ständig - worüber die Presse so rückhaltlos berichtet wie über andere Verhütungsmöglichkeiten. Binnen kurzem habe ich den Eindruck gewonnen, daß in keinem anderen Land so viel und so häufig über das Thema Schwangerschaft und ihren Abbruch gesprochen und geschrieben wird wie in Irland, wo es immer noch offiziell am verpöntesten ist. Nach wie vor gilt bei vielen das »Nice girls don’t«-Gebot: Anständige Mädchen tun so etwas nicht. Gleichzeitig aber gibt es wohl in keinem europäischen Land so viel Unkenntnis über Verhütungsmaßnahmen und die Gefahren von ungeschütztem Sex und seinen Folgen. Viele Teenager meinen, daß Verhütung der Liebe etwas von ihrer Romantik nehmen würde, und sprechen deshalb nur ungern darüber.
Außerdem - so der ironische Kommentar im »Irish Independent« von heute - beherzigten allzu viele irische Lover nicht die Samstagswarnung: »Be good - and if you can’t be good be careful« - also: »Sei brav, aber wenn’s dir gar nicht gelingt, dann paß wenigstens auf.«
Sonst trifft auch auf Irland die Beobachtung zu, daß gerade die Eiferer für den Schutz des ungeborenen Lebens dem geborenen
Leben besonders hartherzig gegenüberstehen, voller Unverständnis für die soziale Wirklichkeit der Frau und Mädchen, für ihre Bedürfnisse und Umstände. Auch hier scheint bei vielen der wahre Antrieb nicht, wie vorgegeben, Liebe zum Menschen zu sein, sondern eine im Grunde tief inhumane Doktrin.
Das Studium der irischen Presse und des Fernsehens läßt aber den vorsichtigen Schluß zu, daß immer mehr Irinnen und Iren die These von der Priorität des ungeborenen Lebens vor dem geborenen, die Verdammung von Abtreibung und Empfängnisverhütung, ablehnen. Was zunehmend auf Widerstand stößt, ist jener abstoßend wirkende Fundamentalismus, der aus religiösideologischen Gründen überhaupt keinen Grund für einen Schwangerschaftsabbruch akzeptieren will, auch da nicht, wo Vergewaltigung die Schwangerschaftsursache war. Eine tiefere Verachtung der Frau ist kaum vorstellbar.
Nicht, daß Abtreibungsgegner keine ehrenwerten und aufrichtigen Gründe haben können - ich kenne keinen hiesigen Kommentar, der das in Zweifel zöge. Was es aber schwermacht, solche Haltung zu verallgemeinern, das ist der klerikal-konservative, durch und durch antiliberale Duktus, mit dem das ungeborene Leben immer noch über das geborene Leben gestellt wird.
Das zeigt sich gewiß nicht nur hier, doch was der irischen Situation ihre spezifische Note gibt, ist ein Hochklerus, der die alten Machtansprüche zäh wie in kaum einem anderen Land verteidigt und der die größten Schwierigkeiten hat, seine Traditionen mit einer sich rasch verändernden Wirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen.
Das gleiche gilt für die Frage des vierten und fünften der großen Probleme: für das Zölibat und die gesetzliche Scheidung. Während letztere inzwischen bekanntlich durch Volksentscheid, wenn auch nur mit hauchdünner Mehrheit, durchgesetzt worden ist, bewegt sich in den Entscheidungsgremien der katholischen Kirche Irlands hinsichtlich der priesterlichen Ehelosigkeit so gut wie nichts.
Wer auch nur eine Diskussion über das ehelose Dasein von Priestern anzuregen versucht, wie der mutige Bischof Brendan Comiskey, dem wird mit vatikanischem Bann und päpstlicher Fuchtel gedroht.
Aber der Streit über die ungelösten Fragen der irischen »Nachzüglergesellschaft«, solange unter kirchlichem und politischem Verschluß gehalten, ist offen, unumkehrbar und mit einer Heftigkeit ausgebrochen, die noch vor wenigen Jahren nicht denkbar gewesen wäre. Mir scheinen die Neuerer und Reformer eindeutig im Vormarsch zu sein, alle Tendenzen weisen in diese Richtung.
Dabei wird nicht die katholische Kirche Irlands der große Verlierer sein, sondern der Teil von ihr, der das Unmögliche will: den Stillstand.
Noch hält sein Klerus die Macht in Händen, aber die vollständige ist es nicht mehr.
Corker Impressionen
Von Macroom auf
Weitere Kostenlose Bücher