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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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deren Spielplan derzeit »The Plough and the Stars« steht; davor ein Brunnen, auf seinem Rand Plaketten mit den Entfernungen zu europäischen Metropolen: Athen 2875, Paris 841, Madrid 1320, Lissabon 1460 Kilometer. Geschäfte nur für Glückwunschkarten, vor allem mit knackigen Babies in knalligen Farben; andere Läden, die nichts verkaufen als pinkfarbene Schleifchen, Barbiepuppen, Kinderspielzeug, Taschenmesser, Pralinen. Woanders fußballfeldgroße Verkaufsflächen, einzig dekoriert mit dem grellbunten Universum internationaler Zeitungen und Zeitschriften.
    Dann von der St. Patrick’s Street nach links eingebogen in die Grand Parade und, vorbei am City Market, Corks »Hallen«, weiter bis ans Ende der Allee.
    Dort, am Schnittpunkt der Grand Parade und der South Mall, stoße ich auf ein Denkmal, das im Stadtplan stolz als »National Monument« bezeichnet wird, in mir aber, wie andere Beispiele dieser Art, einen seltsamen Zwiespalt erzeugt.
    Es ist errichtet worden für die irischen Freiheitskämpfer gegen die britische Herrschaft, für die McCarthys und Mahoneys, die O’Connells, Kellys und Duffys, und zeigt die Fieberkurven aufständischer Unruhe -1798,1803,1848,1867,1916 - die äußerst beeindruckende Liste eines unbeugsamen Drangs nach Unabhängigkeit.
    Aber was sich da dem Auge bietet, ist nicht zum Anschauen. Der metallene Zuckerbäckerturm, die vollbrüstige Jungfrau Eire, überdacht und gestützt auf ein schräg stehendes Hochkreuz, die Lyra, das irische Symbol neben dem Kleeblatt - und das alles schief und spitz und irgendwie mickrig-verfehlt.
    Was da staketumstanden aufstellt, zeugt ebenso wie zahlreiche andere über die Republik verstreute Denkmale von großer Kunstferne und anzweifelbarer Ästhetik. Das schafft peinliche Gefühle in Betrachtern, die sich mit der irischen Geschichte verbunden fühlen und Anteil daran nehmen, produziert etwas, das ich gern in mir niederschlagen würde und das doch da ist. Ich habe hundert Male erlebt, wie wohlwollende Betrachter, Liebhaber des Landes, davor den Kopf schüttelten oder ihn einzogen. Ausländer, gewiß, doch assistiert von den Stimmen kritischer Iren.
    Aber seltsam - auch diesmal, wie schon früher an dieser Stelle, vollzieht sich bald ein innerer Umschwung, der einer anderen Bewertung Platz macht. Denn gerade, weil sie so hilflos bemüht sind, das historische Drama, dem sie entwuchsen, adäquat widerzuspiegeln, gerade weil die Kluft zwischen der unermeßlichen Leistung des irischen Kampfes um Freiheit und den Versuchen seiner äußeren Manifestation so erkennbar ist, gerade deshalb haben diese Monumente auch etwas Rührendes an sich. Um den Spagat zu begreifen, der sich da auftut, muß man wohl wirklich länger im Land gewesen sein, muß man lokale Mentalitäten erschnüffelt, kollektive Haltungen begriffen haben, oder sie wenigstens erahnen. Es hat einer großen Strecke meiner 25 Jahre Bekanntschaft mit Irland und den Iren bedurft, um davon eine Vorstellung zu bekommen.
    Gleichzeitig frage ich mich hier, am Ende der Grand Parade: Müssen das Ehrenmal und seine Pendants der irischen Jugend an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert nicht vorzeitlich erscheinen? Haben sie irgendeinen Bezug zu einer Daseinswirklichkeit, in der die EU-Mitgliedschaft der Republik Irland und Großbritanniens selbstverständlich geworden ist und Spannungen zwischen beiden Staaten höchstens im Rahmen solcher Gemeinsamkeit entstehen können (in diesem Zusammenhang einmal abgesehen von der Nordirlandfrage)? In der Tat haben sich gegenüber der Geschichtssituation, der die Denkmale entwuchsen, die europäischen Verhältnisse inzwischen so grundlegend verändert, daß sich Fragen wie diese ganz von allein aufdrängen. Ich werde versuchen, darauf Antworten zu bekommen.
    Jetzt aber auf die Grand Parade zurück und, wie gewohnt, zum Tee in den ersten Stock der »Hallen«, Corks City Market, das geräumige, weitverzweigte und mehrgeschossige Labyrinth eines Freß- und Warentempels, an dem unmißverständlich abgelesen werden kann, daß Irlands Anschluß an die Sitten und Gebräuche des Kontinents endgültig ist, jedenfalls auf diesem Gebiet.
    Von der Bazarstimmung der siebziger, noch der achtziger Jahre ist hier nichts mehr zu spüren, auch nicht von dem damals vergleichsweise bescheidenen Angebot, abgesehen von den Fischhallen, deren Auslagen seinerzeit genauso aussahen wie heute. Die Wandlungen haben nicht im Meer, sie haben in der Soziologie Irlands stattgefunden. Geweckte

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