Mein irisches Tagebuch
seine Frau nicht ins Haus, weil einer der Handwerker den Schlüssel von innen steckengelassen hatte. Dafür hatte ein anderer den Schlüssel für die Ölheizung mitgenommen. Es mußte ein Fenster ausgebaut werden, damit die Besitzer ihr Eigentum betreten konnten.
Daraufhin stellten sie fest, daß, erstens, der bereits vollständig ausgelegte neue Teppichboden die falsche Farbe hatte, und zweitens, daß große Teile des schon bezahlten Mobiliars noch irgendwo in Dublin standen, statt sich hier an ihrem Platz zu befinden. Dazu waren die Matratzen, die bis sieben Uhr abends angeliefert sein sollten, auch gegen Mitternacht noch nicht da.
Wer jedoch glaubt, diese und andere Widrigkeiten hätten die allgemeine Stimmung trüben können, der irrt. Nicht allein, daß Freund Yvar in seinem Leben, vor allem bis 1945, ganz andere Situationen überlebt hatte und stark im Nehmen ist - auch Johnny B., uneingeschränkter Mittelpunkt der ganzen Handwerkerschar, ein Trumm von einem Kerl, ließ anderes als Zuversicht und unzerstörbaren Optimismus nicht aufkommen. Und daran hatte sich nichts geändert, als ich ihn zum erstenmal sah.
Um ein Haupt länger denn alles Volk, ragte er fast bis zu den Zimmerdecken auf, die Hosen bekleckst und der Jumper von einer Farbe, so unbestimmt wie die seiner Haare. Nur sein Gesicht zeigte das unverwechselbare irische Rot. Unfähig, einen leisen Ton hervorzubringen, dröhnte seine Stimme durch das Haus, als wäre er von lauter Schwerhörigen umzingelt, und sooft er lachte, bleckte er ungeniert den ihm einzig verbliebenen Zahnstummel. Und da Lachen offenbar Johnnys Lieblingsbeschäftigung ist, konnte seine Umgebung den Hauer ausgiebig studieren. Übrigens hatte ihn die eigene Mundmalaise nicht davon abgehalten, Yvar B., als der einmal von Zahnschmerzen befallen war, dringend den sofortigen Besuch beim Dentisten anzuraten.
Johnny B., ein irisches Unikum, hatte Zimmermann gelernt, danach in Dublin hoffnungsvoll Elektrotechnik und Maschinenbau studiert, sein Examen dann aber doch nicht machen können, weil der Vater starb und Johnny zum Ernährer der Familie wurde. Nichts jedoch deutet darauf hin, daß der akademische Abbruch
Johnnys unaufhaltsamen Aufstieg zu jenem handwerklich-technischen Universalgenie verlangsamt hätte, als das er seit einer Generation in der ganzen Region bekannt ist.
Von landläufiger Auskunftsbereitschaft, hatte er mir damals im März schon bald nach dem ersten Händeschütteln mit dem komischen Stolz von Erzeugern vertrauensvoll mitgeteilt, daß er Vater von zehn Kindern sei, zwischen 6 und 25Jahren, alle geboren von einer Frau, die, seiner triumphierenden Beteuerung nach, heute noch so aussehe wie bei der Geburt des ersten Kindes und die ich, so versprach er dröhnend, kennenlernen würde, wenn ich später hier einzöge.
Das ist nun seit gestern der Fall, und da an Mallard Point noch weitergewerkelt wird, taucht Johnny heute morgen schon früh hier auf, und es gibt ein großes Wiedersehenshallo. Gleich darauf bestätigt mir ein Blick in das prachtvolle Chaos seines offenen Toyota-Kombi nur noch einmal, wie berechtigt sein legendärer Ruf als Alleskönner ist. Unter dem Fahrersitz Bananenschalen, auf der Bank daneben Vorschlaghämmer, Töpfe, eine hochgestellte Holzbank; die Ladefläche bedeckt mit Plastikrollen, Bürsten, Stiefeln, Eisenstangen; auf dem Dach, festgeschnallt, Werkzeugkästen, und hinten, sozusagen die Krönung eines Durcheinanders von fast künstlerischer Anarchie: ein gut drei Meter aus dem Wagen gefährlich hervorstechendes und am Ende unmarkiertes Kupferrohr!
Johnny hat hier alle Klempnerarbeiten verrichtet, hat die Heizung und die Stromleitungen installiert, die Wasserrohre verlegt, das Dach frisch gedeckt und eine neue Garage gebaut. Deren automatisches Tor prüft er jetzt, wobei sich ein stentorhafter Monolog zwischen ihm und »Aivar« ergibt (so spricht Johnny trotz phonetischer Dauerkorrektur seitens des Betroffenen den Namen Yvar aus, meist mit dem Attribut »my friend Aivar«). Der hat Schwierigkeiten, sich rhetorisch gegen Johnnys gutmütige Dominanz durchzusetzen, wobei es immer wieder erstaunlich ist, wie weitgehend dem Selfmademan Yvar bei durchaus noch begrenzten Englischkenntnissen eine Verständigung möglich ist.
Große Pläne hat er, will ein Bootshaus errichten, das am Reißbrett schon entworfen ist, und so geht es nun mit Johnny über den schmalen Weg hinweg an das nahe Ufer des Lough Sheelin.
Der See hinter der kleinen Bucht
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