Mein irisches Tagebuch
krummer, noch schräger als sonst, winkt vage, als ich die Rampe hinauffahre. Dann geht es auf den weiten Weg in die zweite Etappe - von fünfen.
Aber ich habe soeben etwas beschlossen.
Mallard Point
Ein Tag am Lough Sheelin
Es ist acht Uhr morgens.
Der Blick aus dem großen Fenster des Hauses fallt auf den weiten, dreieckförmigen Ausschnitt eines Sees - Lough Sheelin liegt unter einem bedeckten Himmel, es regnet leicht.
Vorn am Ufer steigt ein Fischreiher auf und segelt mit langen Schwingen auf das gegenüberliegende Ufer zu. In der Luft, über dem Schilf, kreischende Möwen und Krähen, die in Schwärmen fliehen. Hinten, vor der Einmündung der kleinen Bucht in den See, entdecke ich etwas Helles, Weißes, hervorgehoben und unbeweglich. Erst durch das Fernglas erkenne ich, was es ist -eine brütende Schwanenmutter. Es nähert sich der Schwanenvater, majestätisch eine winzige Bugwelle vor sich hertreibend.
Auf dem Rasen, zwischen Haus und Hecke, eine wilde Kirsche, ein Baum mit mächtigem Blätterdach, rechts, an der Grenze zum Nachbargrundstück, eine turmhohe kanadische Tanne, und vorm Fenster flügelschlagendes Leben um das hölzerne, auf einen senkrechten Balken gesetzte Vogelhäuschen, von dessen Seiten prall gefüllte Futternetze herabhängen. Daran klammern sich, fortwährend wechselnd, Rotkehlchen, Blaumeisen und Goldammern, die versuchen, mit kurzen Schnabelstößen, Köpfchen nach unten, durch die Maschen soviel wie möglich von dem nahrhaften Inhalt herauszupicken. Die hysterische Atmosphäre erklärt sich aber nicht allein aus der gierigen Konkurrenz der eigenen gefiederten Gattung, sondern auch durch eine Gefahr von höchst anmutigem Äußeren. Auf der Bildfläche erscheinen nämlich zwei Eichhörnchen, fabelhaft behende, ständig fressend und mit grauem Fell.
Ich hatte schon davon gehört, daß in Irland die rötlichen Eichhörnchen von den grauen verdrängt worden waren, hatte aber bisher von der stärkeren Gattung kein Exemplar zu Gesicht bekommen. Nun beherrschen sie da draußen souverän die Szene, klettern am Balken hoch, beachten den wütenden Zwitscherprotest nicht, sondern greifen sich die Netze, reißen sie auf und lassen sich fallen, um unten so lange in sich hineinzustopfen, bis kein Futterrest mehr den Rasen deckt. Dann huschen sie über den Boden, den Schwanz immer horizontal von sich gestreckt, wenn sie laufen, aber das Büschel elegant an den Rücken geschmiegt, wenn sie verharren. Schließlich sind sie so blitzhaft wie gekommen auch wieder unter der großen Tanne verschwunden. Und schon hat ein Buchfink den Dachfirst des Vogelhäuschens aufs neue erobert.
Rechts neben dem offenen Tor zum Grundstück ein Fliederbusch mit seinen lila Dolden, neben dem linken Pfosten, prangendes Weiß, ein blühender Tulpenbaum.
Ich bin 300 Kilometer entfernt von den Skelligs und Puffin Island, hoch oben in der Republik, im County Cavan, einer Grafschaft an der Grenze zu Nordirland. Das Haus, in dem ich gestern angekommen bin, heißt Mallard Point, mein zweiter fester Standort, von dem aus ich meine Reisen machen werde. Es gehört Hamburger Freunden, Dagmar und Yvar B., die es im vorigen Jahr erstanden und nach ihrem Gusto eingerichtet haben - ein fester Bungalow, moderne Küche, zwei Badezimmer und vier wohnlich eingerichtete, höchst anheimelnde Räume. Hier kann ich bleiben, so lange ich will - eine Idylle sondergleichen.
Das war allerdings nicht von Anfang an so, wie ich bei einer Stippvisite aus meinem südlichen Domizil im März feststellen konnte. Die Verwandlung des alten in den neuen Mallard Point war noch nicht abgeschlossen und infolgedessen hier die Hölle los.
Als ich ankam, versuchte gerade ein Riesenlastwagen, zwischen den Pfosten des soeben gestrichenen Tors auf das Grundstück zu gelangen, was schließlich, mit Johnny B. am Steuer, in Millimeterarbeit auch gelang. Im Haus waren überall Handwerker, es ratterte und hämmerte ohne Unterbrechung, und das in jedem Raum. In Mauern wurden Furchen geschlagen, über den Parkettboden Drähte gelegt, die Scherben eines zu Bruch gegangenen Spiegels unter fröhlichen Scherzen des Täters eingesammelt und zwei Bohrmaschinen gleichzeitig angeworfen - eine, um ein Waschbecken festzuschrauben, die andere, um Haken in einem Wandschrank anzubringen, und beides in ein und demselben Badezimmer.
Seit der Ankunft von Yvar und Dagmar B. aus Hamburg hatte es eine Panne nach der anderen gegeben. Zunächst konnten der neue Besitzer und
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