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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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Hoffnung erweist. Dafür aber hat Yvar jetzt einen Fisch an der Angel, einen großen, der heftigen Gegenwehr nach zu urteilen. Doch als der Fang dann an die Oberfläche kommt, ist es ein pike, also ein Hecht. Martin verzieht unmerklich das Gesicht - Iren mögen Hechte nicht, essen schon gar nicht. Yvar weiß das, und deshalb ist seine Freude gedämpft. Forellen müssen ins Boot.
    Schwalben flitzen über das unruhige Wasser, ein Raubvogel schwebt hoch über dem See nach Norden, ich sehe seine Schwingen gegen den hellen Wolkenhimmel abgehoben.
    Martin nimmt Kurs auf das andere Ufer, gegen den Wind. Wir schneiden die Wellen mit dem Bug, tausend glitzernde Wasserkronen spritzen auf, schlagen wütend gegen das Boot, nässen uns sprühend.
    Da hat Yvar auch schon den zweiten Fisch an der Angel -»Eine Forelle«, brüllt er, »ich kenn’ doch den Zug!« -, holt die Leine ein, langsam, sehr langsam, und hat doch wieder nur einen Hecht am Haken. »Besser als gar nichts«, murmelt er vor sich hin. Martin nickt, verständnisvoll. Ich auch.
    Wir sind in der Mitte des Sees.
    Wenn die Sonne einen trifft, ist es angenehm warm, geht sie weg, wird es empfindlich kalt. Am Westufer fällt Regen, aus einer dichten Wolkenbank ziehen schwere graue Schwaden nach unten, im Osten hat der Himmel lauter blaue Löcher.
    Und dann, gerade, als ich bei diesem Anblick wieder mal denke: »Four seasons on a monday«,geht ein Ruck so unvermutet durch meine inzwischen fast vergessene Angel, daß mir vor Schreck die Rute fast aus der Hand geglitten wäre. Doch nun spule und spule ich auf, ungeschickt und viel zu schnell, aber das Gewicht am anderen Ende bleibt nicht nur, sondern wird schwerer und schwerer. Und dann schießt er aus dem Wasser hervor, der erste je von mir gefangene Fisch, gläsern, unten hell, oben dunkel und unverwechselbar bepunktet - eine Forelle!
    Es ist wahr, ich, der Anfänger, das Untalent, wie beziehungsreich, wenn auch ohne Namensnennung, in dunklen Andeutungen gespottet wurde, ich habe einen Fisch der Spezies »Königin der irischen Seen« gefangen - the trout. Yvar wackelt mit dem Kopf, als geschähe ihm großes Unrecht, und versucht, sein Grinsen zu verbergen.
    Als wir am anderen Ufer pinkeln wollen, schlägt die Schraube gegen einen Felsen, kann aber weiter arbeiten. Später setzt der Motor aus, ein Zündkabel hat sich gelöst, doch Martin bringt auch das wieder in Ordnung. Danach verfangt sich Yvars Blinker in der Schraube, die Leine ist hin. Jetzt kommt das Grinsen von mir: »Ich denke, da kommt etwas Unzerreißbares zusammen?« Yvar bleibt stumm.
    Es regnet und ist kalt, naß hocken wir im Boot. Die Zeichen stehen schlecht - Zeit, zurückzufahren.
    Da reißt es abermals an meiner Angel, wird sie schwer und schwerer, kenne ich den »Zug« nun schon, spule bedächtiger auf als das erste Mal, und ziehe - Yvar: »Das glaubt dir kein Leser!« -meine zweite Forelle aus dem Lough Sheelin!
    Der Profi mit seinen zwei Hechten gibt sich die größte Mühe, schief und böse dreinzuschauen, aber es mißlingt vollständig. Und so brechen wir denn mitten auf dem See in schallendes Gelächter aus.
    Vor der Abfahrt nach Dublin wird nach diesem unterkühlten Nachmittag noch einmal der Kamin »angeworfen«, wie Freund Yvar zu sagen pflegt. Wir sitzen davor, Daggy, meine liebe Freundin, hat im Haus alles auf Hochglanz gebracht, dann fahrt Johnny vor, um sie und Yvar B. nach Dublin Airport zu bringen -und jetzt bin ich hier allein, in Mallard Point, nach dem Haus am Kliff mein neues Domizil.
    Hier ist es viel wärmer als im rauhen Südwesten, von Winterlichem keine Spur.
    Später, in der Abendsonne, gehe ich auf der seeabgewandten Seite des Hauses, hinten, ins Freie.
    Auf der bis an den Horizont reichenden Weide hoppelt ein Hase. Goldbraun bei diesem Licht, hält er seine Löffel hoch in die Luft, macht aber sonst den Eindruck, als fühlte er sich ganz sicher. Dabei habe ich heute mittag, nicht weit von der Stelle entfernt, wo Meister Lampe jetzt ist, einen Fuchs entlangschleichen gesehen. Beide, Hase und Fuchs, wollen mir übrigens größer, stärker Vorkommen als ihre Artgenossen auf dem Kontinent. Ich gehe wieder hinein und blicke vorn aus dem Fenster des Kaminzimmers.
    Die Sonne steht tief im Westen und ist hinter den Bäumen verschwunden, nur noch schmale Lichtstreifen fallen auf den Rasen. Der Kirschbaum bewegt sich leicht, Wind ist aufgekommen. Die schweren Zweige der großen Tanne bewegen sich wie rudernde Arme. Das andere Ufer ist

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