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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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dem Jesus von Slea Head vor den Blasket-Inseln auf Dingle, die bewußte Demonstration, die extreme Botschaft, die da ausgesandt wird.
    Beruhigend dagegen das Bild hier unten am See.
    Drüben, auf seiner anderen Seite, Berge, die Gipfel verhangen, die Hänge mit grünen und braunen Flecken sanft abfallend, die Vegetation am Ufer dicht wie tropischer Regenwald.
    Vor der Abtei ein Hinweis mit Pfeil: »Gotic church« - weit hinten ragt die Spitze eines Kirchturms empor. Es ist, wie sich herausstellt, die Memorial Church Kylemore, erbaut 1876 bis 1880 von J. F. Fuller, der auch Kylemore Abbey und Teile von Ashford Castle errichtet hatte.
    Für diese Kirche wurden »shale and cut limestone« verwendet - Schiefer und Kalkstein, Baumaterial, das in den mehr als hundert Jahren porös geworden ist und erneuert werden muß. Drinnen Gerüste, Lärm, Staub, es klirrt und spritzt. Säulen aus wunderschönem Marmor - der grüne aus Connemara, der rote aus Cork - werden aus pistolenähnlichen Geräten mit einem bestimmten Wachs gesäubert. Das erfahre ich von dem Mann, der die Restaurationsarbeiten leitet, von oben bis unten wie gepudert aussieht und aus Dublin stammt. Binnen kurzem weiß ich, daß er lange beim irischen Fernsehen war, aber schon mit fünfzig seinen Abschied nahm, um seinen alten Beruf als Restaurator wiederaufzunehmen und »nie wieder zum Computer zurückzukehren. Das Leben ist nur schön, wenn man mit seinem Beruf in Übereinstimmung ist.«
    Als er mich in die Geheimnisse der Stuckrestaurierung einführt, muß er schreien, um gegen den Geräuschpegel anzukommen.
    Für mich ist er der erste Ire, der seine Sätze mit deutschen Sprachbrocken durchmischt, und dafür auch gleich die Erklärung liefert: Die Tochter sei in Marburg verheiratet, sein Sohn habe beim Sender Freies Berlin hospitiert - und er in Köln die Erneuerungsarbeiten am Dom über Monate verfolgt.
    Als wir uns verabschieden, sagt er: »Tschüs!«
     
    Schon vor Kilcolgan wird der ungeheure Buckel sichtbar, die Abhänge steingrau und bräunlich, alle Flora vom Seewind nach Osten gedrückt, ein überdimensionaler Wal, direkt aus dem Atlantik aufs Land geworfen - der Burren.
    Bei Ballyvaughan dann, an seinem Fuße, links ab und auf der N 67 hinein in seine steinerne Einsamkeit. Die Landschaft plattenübersät und doch nackt wie eine Blöße, durchsetzt von Moosen und Flechten, zähen Krüppelpflanzen, die der Leblosigkeit trotzen. Dann und wann noch bebautes Land, Schafe, Weide, ja bis hier hinauf, überraschend, das unvergleichliche irische Grün, befeuchtet und durchatmet vom Atlantik.
    In Serpentinen zur Paßhöhe, zum Corkshrewhill, eine Korkenzieherstraße. Der Burren zu beiden Seiten wie eingenebelt, nur im Rücken eine freie Schneise, mit Blick auf die blau und türkis gefärbte See ganz da unten, bis sich auch diese Lücke schließt.
    Links und rechts der Paßstraße, schemenhaft, Sträucher, Gestrüpp, Steinwälle, und mitten im Nebel, gespenstisch, die Konturen einer einsamen Kuh.
    In diesem Berg aus porösem Kalkstein verschwindet das Wasser hörbar, es bildet Strudellöcher, gräbt unterirdische Betten, wäscht Höhlen aus zu Naturzisternen. Auen auf der Paßhöhe noch Gewächse von alpiner Zähigkeit, vom Wind gestürzte Bäume, deren Wurzeln in der kargen Erde haften, während die Stämme hin und her schwingen und die kahlen Äste sich wie im Tanz wiegen, obwohl sich hier oben jetzt kein Lüftchen regt. Totale Abwesenheit von Menschen, außer der eigenen Person.
    Tiefer dann, nach Lisdoonvarna zu, wieder gute Sicht - auf die megalithischen Gräber, stumme Zeugen früher Besiedelung; auf die großflächige, tief gekerbte und an vielen Stellen geplatzte Steinhaut; auf die gewaltigen, von Gletschern und Erosion geschaffenen Terrassen; auf diesen rissigen, wie von der Kraft gnadenloser Erdbeben und heißer Vulkane geformten Zyklopen im County Clare - The Burren.
     
    Bei strahlendem Sonnenschein vom Haus am Kliff auf nach Beara, ans Ende der Halbinsel, um dort mit dem cable car überzusetzen nach Dursey Island, an dessen westlichstem Punkt man dem »Stier«, der »Kuh« und dem »Kalb« ganz nahe ist.
    Ich habe es satt, sie so weit übers Wasser anzustarren, aus dreißig Kilometer Entfernung oder mehr, drei phantasieanregende Höcker am Horizont, ein Licht nur, das nachts im Sechzehnse-kundentakt herüberblitzt aus schwarzer Finsternis.
    Und so nehme ich denn die hin und zurück gut 200 Kilometer auf mich, um »the bull, the cow and the calf«

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