Mein irisches Tagebuch
nur noch flüchtig zu erkennen.
Rechts, vor dem Übergang der vollkommen stillen Bucht in den See, brütet immer noch, hell und unbeweglich, die Schwanenmutter. Auf dem Wasser driftet, ganz Silhouette, ein Boot mit zwei Anglern, und in das dunkelblaue Gewölbe des Himmels hinein sticht die leicht schwankende Krone der kanadischen Tanne.
An dem Holzhäuschen auf dem Balken sind die Futterbeutel wieder angebracht, fünf an der Zahl, und pendeln sacht hin und her. Doch um diese Stunde pickt kein Vogel mehr daran, ihr Konzert ist verstummt. Auch die Grauhörnchen sind verschwunden.
Nach Einbruch der Dunkelheit betrete ich den Rasen vor dem Haus. Die Gartenbeleuchtung wirft ihr Licht, kann aber nur anglimmen gegen das Bengalische Feuer eines Mondes, der über den Uferbäumen wie eine glühende Traube hängt, wie ein ovales, weiß erhitztes Riesenei.
Gegen Mitternacht dann hat das Diadem des Großen Wagens über die wandernde Scheibe gesiegt, flammen unzählige Himmelslaternen auf, haben sich Myriaden heller Punkte an die Schwärze des Universums geheftet.
Ein Tag am Lough Sheelin.
Da hat sich viel verändert
Aufbruch in die Umgebung und an die nahe Grenze zu Nordirland - es sind, über Cavan, keine dreißig Kilometer bis dahin.
Nur wenige Schritte von Mallard Point entfernt, da, wo die abgelegene Zufahrt ufernah auf die Kreuzung nach Mount Nugent stößt, fuhrt der alte Chris wie jeden Morgen Hund Barney aus - ein weit überlokal bekanntes Paar, bei dessen Anblick ich, obschon vorgewarnt, nun doch heftig schlucke.
Chris trägt einen Mantel, der lange vor seiner Geburt angefertigt worden sein muß und entsprechend zerschlissen ist. Das Kleidungsstück hat inzwischen, und wohl seit langem schon, eine aubergineähnliche Farbe angenommen und weist auf dem Rücken klaffende Schnitte auf, aus denen das einstmals wertvolle Futter zerfetzt hervorquillt, während eine graue Mütze den bis auf den Nacken fallenden Rotschopf nur unvollkommen bedeckt. Barney, ständig mit »come on, dear!« gerufen, ist der Prototyp jener Gattung, die Promenadenmischung genannt zu werden pflegt - die x-beinige Kreuzung zwischen Bulldogge und Windhund, ein überdurchschnitdich flinker Vierfüßler, umtollt den Alten ständig und läßt ihn keine Sekunde aus den Augen.
Sommers wie winters, so wurde mir berichtet, in seinen denkwürdigen Poncho gehüllt, gemächlichen Schrittes, die Hände auf dem Rücken und in fortwährender Zwiesprache mit Barney, begeht Chris die tagtäglich viermal streng eingehaltene Route. Sie führt das seltsame Paar jetzt von der Kreuzung hinunter zum See und auf die Betonpier, wo Herr und Hund ganz vorn ans Wasser treten und dort lange und stumm verweilen. Dann geht es zurück, wobei Chris alle, die ihm unterwegs begegnen, mit völlig unbewegtem Gesicht auf das freundlichste begrüßt, ehe er und Barney - »come on, dear!« - in einem Holzhaus verschwinden, das zwar außerordentlich baufällig wirkt, auf dem Dach aber mit einer Satellitenschüssel protzt.
Hinter Kilnaleck führt eine alte Brücke über einen schmalen Flußlauf, den River Erne, kaum mehr als ein Bach, dem man hier am Oberlauf nicht ansieht, daß er der Zulieferer eines der bedeutenden irischen Wassersysteme ist. Auf seinem langen Weg in die Donegal Bay durchquert der Fluß die inseldurchsetzte Seenkette des Upper und des Lower Lough Erne und strömt westlich von Ballyshannon mit großer Kraft in den Atlantik.
Die Sonne scheint, und sofort intensiviert die Landschaft ihre Farben, das Gold des Ginsters, die braune Erde am Saum der Hecken, das Schwarz und das Weiß der Rinder.
County Cavan, das ist ein Teil von Irlands großer Ebene, den midlands , und ihrer sanfthügeligen Busentopographie unter dem ständigen Wechsel von Hell und Dunkel, von Licht und Schatten. Auf den Weiden überall Fohlen und Kälber unter gleißendem Himmel, aber über den Wassern von Lough Oughter schon wieder drohende Schleier.
Bei Kilishandra dann ab auf die R 201 quer durch ein Gebiet sich ablösender Seen. Längs der Straße, auf beiden Seiten, Wiesen, übersät mit Millionen gelber Blumen, hohes Gras, das sich im Wind wiegt, und auf der Hälfte der Strecke nach Butler’s Bridge das Märchen des Killykeen Forest Park - mit seinen blinkenden Wasseraugen wie ein Miniaturkanada und doch tiefstes, innerstes Irland. Und wieder der River Erne, die Strömung hier etwas beschleunigt, zwölf Meter unter einer Brücke, deren Quadern von der Blütenpracht eines
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