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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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wenigstens einmal nahe zu sein, von Kap Dursey aus, wo es nur ein Sprung hinüber zu den Felsen sein soll.
    Deshalb also der endlose Weg über den südlichen Ring of Kerry entlang dem tiefen Einschnitt der Kenmare-Bucht ostwärts, ehe es dann auf der anderen Seite westwärts geht, über die Caha Mountains und den Healy-Paß zur Bantry Bay. Unterwegs auf abenteuerlich gewundenen Straßen mit Haarnadelkurven, vorbei an prangendem Stechginster, ganzen Prärien von Narzissen und an Irlands unvermeidlichen Schafherden.
    Seit Stunden strebe ich B-C-C zu, wie ich die Dreiergruppe der Einfachheit halber für mich getauft habe, aber bis zum cable car, der mich nach Dursey Island hinüberbringen soll, sind es trotzdem noch 24 Kilometer. Schließlich, kurz vor dem Aufgeben, bestätigt mir ein irischer Vierschrot, es sei bis dahin »only one and a half mile«. Nach dieser tröstlichen Auskunft stellt er seinerseits eine Frage, nämlich, was ich auf Dursey Island wolle. Als ich ihm wahrheitsgemäß antworte, schnalzt er zustimmend und fügt an: Ja, vom Bergrücken auf der Dursey-Insel könne man »the bull, the cow and the calf« ganz aus der Nähe sehen.
    Und dann liegt die Insel vor mir, ein gewaltiger Erdplacken, getrennt durch einen schmalen Seestreifen, von New York 5280, von Moskau 3310 Kilometer entfernt, wie einer Tafel zu entnehmen ist, aber zu erreichen nicht etwa mit einer Fähre, wie ich gedacht hatte, sondern mit einer Seilbahn!
    Da spannt sich ein gefährlich durchhängender Draht zwischen zwei Masten, deren einer hier auf dem Festland, der andere am Inselufer aufragt, beide nicht jünger als das cable car , ein offener schwarzer Kasten hoch droben am Mastende auf der anderen Seite.
    Ein junger Mann aus Düsseldorf sagt, er warte hier schon zwei Stunden und wolle es dennoch wagen. »Die Abfahrtszeiten sind allerdings ungewiß. Nach Fahrplan müßte ich längst drüben sein.«
    Also ist auch die Rückkehr ungewiß.
    Ich schwanke zwischen meiner gestauten Sehnsucht, an der Westspitze von Dursey Island den drei inzwischen so vertrauten Felsen endlich so nahe wie möglich zu kommen, und dem bohrenden Verdacht, daß die technische Wartung hier am Rande der Welt wohl kaum auf zentraleuropäischem Standard durchgeführt wird.
    Am Ende der Zauderminuten obsiegt dann doch mein tief eingefleischtes Mißtrauen gegen jede Spielart von irischem TÜV für cable cars, und ich beschließe, unverrichteter Dinge die Rückfahrt anzutreten. Allerdings nicht auf der Route der Herreise, sondern die R 575 weiter nach Norden entlang der Ballydonegan Bay, und das in der Hoffnung, von irgendwo dort »Stier«, »Kuh« und »Kalb« zwar nicht so nahe wie gewünscht, wohl aber näher als vom Haus am Kliff aus zu erblicken.
    Bis Allihies Village verrenke ich mir vergebens den Kopf nach hinten. Aber dann will ich, nicht ganz sicher, da draußen im Südwesten den »Stier« erkennen, was mir prompt bestätigt wird von John Terry in O’Sullivan’s, einem Laden für alles: Richtig, das sei the bull , und ein Stückchen weiter, die Straße ins Gebirge hoch, so wird mir verheißen, tauchten auch cow und calf auf. Und tatsächlich, da schwimmen sie in ihrer kauzigen Dreieinigkeit, unverdrossen an der ewig gleichen Stelle, sehr viel größer für mich als bisher und an der nächsten Biegung wieder verschwunden. Doch nur, um nach etlichen Kehren erneut aufzutauchen, klarer als vorher, und abermals wegzubleiben. Dann, über einen Grat hinweg, muß es wohl endlich vorbei sein, ist es aber nicht. In voller Schönheit, jungfräulich geradezu, bieten sich die drei ein letztes Mal dar, bevor es hinuntergeht zur Coulagh Bay. Mein Kopf ist steif bis zur Genickstarre.
    Jetzt nur noch nach vorn gucken.
    Es ist längst dunkel geworden, als ich zurückkehre. Nachts trete ich ans Fenster. Weit hinten, im Süden, blinkt es auf, alle sechzehn Sekunden; weiter draußen, auf See, das stationäre Licht eines dümpelnden Fischerboots; unter einem hellen Himmel Puffin Islands klobige Topographie, und in dunklen Umrissen die Skelligs, die meinem Aufenthalt, dem ersten, den Namen gaben. Der Kleine wie ein Wellenbrecher vor Michael, dem Großen, dessen Licht sanft und niedrig übers Wasser streicht.
    Ja und abermals - so ist die Welt in Ordnung.
    Maureen kriegt runde Augen, als ich ihr am nächsten Tag von meiner Tour erzähle. Es ist der letzte im Haus am Kliff. Beklommen lade ich das Gepäck in meinen alten Ford. Gedrückter Abschied. Sie bleibt an der Tür stehen, noch

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