Mein ist dein Herz
Gesprächs war auch, dass diese Krebsform in ihrer Familie bekannt ist, weswegen ihre Mutter, Tante und Großmutter bereits vor Jahren operiert wurden und nun ein sorgenfreies Leben führen. Und während Jane ihr reserviertes Verhalten auf den Fakt ihrer ›eingehenden Bekanntschaft‹ mit dieser Krankheit gestützt hat, spielte ich mehrmals mit dem Gedanken aufzuspringen, mit den Händen zu fuchteln und laut »Halt!« zu schreien.
Es war unverständlich für mich, wie sie den ›kleinen‹ aber essentiellen Unterschied übersehen kann. Diese Frauen haben allesamt Kinder gekriegt und viele unbeschwerte Jahre gelebt, ehe diese Diagnose ihr Leben verändert hat. Jane hingegen ...
Nun Sie wissen schon, worauf ich hinaus will!
Der ständige Stress, den sie dermaßen breitwillig zu ihrem Alltag erklärt hat, beschleunigte den gesamten Prozess und hat das Damoklesschwert viel zu früh über dem Hals ihrer Zukunft erhoben.
Als wir nach dem Gespräch entlassen werden und Jane nach wenigen Schritten in Tränen zusammenbricht, fühle ich mich sogar ein bisschen erleichtert, weil diese Reaktion viel besser zu der neuen Sachlage passt, als das passive Schweigen. Dieser kleine Schwächeanfall vergeht dennoch genauso schnell, wie jedes, in ihren Augen, unangemessenes Benehmen. Was bleibt, sind die Tränen und Traurigkeit, die auch mich untröstlich machen und vergebens nach den passenden Worten suchen lassen. Umso glücklicher bin ich, dass sie aufgrund meiner Anwesenheit gehen durfte und somit nicht andauernd daran erinnert wird. Ich will mir nicht einmal ausmalen, wie sie sich allein schon deswegen gefühlt hat, dass ihr der Aufenthalt im Krankenhaus von einer Psychologin ›angeraten‹ wurde. Diese hat Jane quasi für suizidgefährdet erklärt und infolge dessen die Vormundschaft an sich gerissen.
Ein weiterer Glücksfall ist mein volles Urlaubskonto, das mir die Befolgung des dringenden Rates ihres behandelnden Arztes und der Psychotante ermöglicht. »Die seelische Last müsste man ihr abnehmen«, hat mir Frau Neumann zugeflüstert, während Jane ein Rezept im Schwesternzimmer entgegen genommen hat. Genau das versuche ich nun umzusetzen.
Vergessen ist der Grund für meinen Zorn sowie der Umstand unserer Trennung. Wir machen einfach da weiter, wo wir aufgehört haben. Und bereits einen Tag später kommt es mir so vor, als hätte es den unliebsamen Einschnitt in die zarte Haut unserer Beziehung niemals gegeben. Na ja, fast! Einen Unterschied gibt es dennoch, einen positiven sogar: Jane ist so ruhig, wie niemals zuvor.
Wie ein kleines Kätzchen hat sie sich an meine Seite gekuschelt, nachdem der erste, in Stille verbrachte Abend, in eine dunkle Nacht umschlug, und schlief bis zum Morgen durch. Kein Stöhnen, nicht ein im Traum ausgesprochenes Wort, ja noch nicht einmal umgedreht hat sie sich. Als einen großen Bonus gab es zudem meinen Namen, auf dem Silbertablett ihrer weichen Stimme serviert. »Sean!«, hat sie geflüstert und mir dadurch das Gefühl geschenkt, ich wäre ein rettender Anker für sie. Der einzige Fels in der Brandung und der hellste Lichtfunken in einem schier unendlich langen, düsteren Korridor, den sie vorher allein beschritten hat.
Kapitel 28
»W oran denkst du gerade?«, fragt Sean und durchbricht somit meine Gedanken.
»Daran, wie schön das Wasser funkelt ...«, lüge ich. Eine offensichtliche Lüge, die niemanden täuschen kann, der mich unentwegt beobachtet. Mein Blick ist nämlich überhaupt nicht auf das Wasser gerichtet, sondern gen Himmel.
Sean hatte die Idee, mit mir nach Sonthofen zu fahren, um es sich hier in einem Solebecken gemütlich zu machen. Und ich muss schon wirklich sagen, dass es unglaublich gut tut, sich einfach zurückzulehnen, die Stille zu genießen und der Sonne beim Untergehen zuzusehen. Der Himmel wird von ihr in ein rotgelbes Schauspiel verwandelt, bei dem die kleinen Fluffelwolken die Hauptrollen spielen. Wunderschön und gewaltig.
Nichtsdestotrotz gelingt es mir nicht, von dem Bewusstsein wegzukommen, dass er lediglich aus Mitleid bei mir geblieben ist.
»Und wenn du ehrlich bist?«
»Du willst die Wahrheit? Gut! Gegenfrage: Warum bist du hier, Sean? Wer bin ich für dich?«
»Das sind aber zwei Fragen!«, rügt er mich mit Stimme und Tat.
Obwohl er sich die ganze Zeit über sehr zurückgehalten hat, rückt er nun so nah an mich heran, dass ich nur noch ihn spüre. Seine Arme schlingen sich um meinen Körper, der hypersensitiv auf jede Berührung reagiert,
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