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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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imaginäre Schlangenköpfe ab. Er sah aus den Genickstrünken die Fontänen steigen, senkte das Katana und drehte sich langsam unter dem Blutregen seiner Einbildung wie Siegfried unter dem Drachen.
    Der Täter war glücklich.

    Frau Bossi sprach mit ihrem Team. Das Schilf am rechten Ufer der Nelda war dort, wo die Hubschraubermannschaft den angetriebenen Kahn gesichtet hatte, mannshoch. Es stand so dicht, dass die zwei Taucher vom Landeskriminalamt Mühe hatten, das Fischerboot in den Schlick am Ufer zu ziehen.
    Die Hauptkommissarin wartete. Ihr war schlecht. Vorsorglich hatte sie nichts gefrühstückt. Trotz ihrer langen Berufserfahrung nahm der Anblick von Leichenteilen sie noch immer mehr mit als der Fund einer ganzen Leiche, so als wäre im einheitlichen Körper die Person erhalten und hätte im Tod noch einen Rest Würde, während die Menschenstücke auf sie wirkten wie eine doppelte Zerstörung des Lebens.
    Der schwere Holzkahn wurde ausgiebig fotografiert und schließlich mit einer Seilwinde auf die Uferwiese gezogen. Er kippte auf die Seite, der Kopf rollte unter das vordere Querbrett in die Wandung. Eine Wolke Fliegen stob auf. Michaela Bossi sah nur kurz hin und wandte sich ab. Sie nickte ihren Leuten in den weißen Schutzanzügen zu. Alles Weitere war Sache der kriminaltechnischen Untersuchung.
    Swoboda hatte sich in einiger Entfernung auf den Stumpf einer Ulme gesetzt und schraffierte auf seinem Skizzenblock mit grobem Grafitstift den bedeckten Himmel, zog Schattenlinien ins Schilf ein, sorgte für weiße Lichtstellen auf dem dunklen Wasser und ließ alle menschlichen Figuren auf dem Bild aus. Das gegenüberliegende Ufer der Nelda war kaum zu erkennen. Die Szenerie war für ihn nichts als Natur an einem düsteren Tag.
    Das ist aber nicht hier.
    Michaela Bossi stand rechts hinter ihm und beugte sich über seine Schulter. Er hörte auf zu zeichnen.
    Doch. Nur nicht jetzt. Aber vielleicht kurz vor dem jüngsten Tag. Was, glaubst du, passiert hier während der Auferstehung?
    Sie zögerte.
    Keine Ahnung. Gar nichts?
    Er lachte und klappte den Block zu.
    In Mitteleuropa liegen unter jedem Quadratmeter die Toten irgendwelcher Kriege oder Verfolgungen oder Seuchen. Also, beim allgemeinen Seelenstart bricht hier die Wiese auf, und die verrotteten Germanen, Goten oder Sueben oder Hunnen oder Römer oder weiß der Teufel wer packen sich ihr Fleisch wieder auf die Knochen, keinen Schimmer, wo sie das herkriegen, und dann nix wie rauf. Oben ist Party für Abermilliarden von Gästen. Die ganze Erde ein einziger aufgewühlter Acker. Der ganze Himmel ein einziger Leichenstau.
    Du bist ein Ekel. Mir reicht es, wenn wir diesen Kopf drüben im Boot wieder mit seinem Körper zusammenlegen.
    Swoboda stand auf.
    Und die linke Hand?
    Nicht dabei.
    Langsam setzte er sich zurück auf den Baumstumpf.
    Was tut der Kerl mit der Hand? Die linke. Die ungeschickte? Bloß eine Marotte? Wozu macht er sich die Mühe? Köpft sein Opfer, lässt es fallen. Hebt dann den linken Arm an, schlägt die Hand ab. Blutige Sauerei, alles glitscht. Muss Kopf und Hand einsammeln und wegtragen. Hinterlässt Spuren. Warum?
    Seine Kollegin wusste nichts zu antworten. Sie blickte in die hängenden Kronen der Uferweiden. Die Wolkendecke war dünner, das Licht stärker geworden. Es blendete. Ihr wurde schwindlig, sie legte Swoboda ihre linke Hand auf die Schulter. Unwillkürlich ließ er den Graphitstift auf das Zeichenblatt fallen, winkelte den Arm an und bedeckte ihre Hand mit seiner. Als er die Haut spürte, wusste er, dass er sofort loslassen, aufstehen und Abstand suchen sollte. Es gelang ihm nicht.
    Ich kann das nicht mehr sehen, sagte sie leise. Bei jedem Toten wird mir übel. Früher konnte mich nichts beeindrucken. Bei dem Kopf dort drüben, ich hätte beinahe geheult. Was ist los mit mir?
    Andere verlieren ihre Gefühle, du gewinnst sie.
    Ich weiß nicht, wohin damit.
    Er starrte auf den Fluss und flüchtete sich aus ihrem Geständnis in die Polizeiarbeit.
    Das Einzige, was die Opfer gemeinsam haben, ist ihre Haarfarbe.
    Sie antwortete nicht, dachte nicht daran, dass auch sie blond war, wollte ihn nur weiter spüren. Sie meinte, sie würde ohne den Halt an seiner Schulter das Gleichgewicht verlieren. Er ließ seine Hand auf der ihren liegen und drückte sie leicht.
    Auf dem Damm hinter ihnen wurde ein Jogger in schwarzer Kleidung sichtbar. Er blieb stehen und sah auf den abgesperrten Tatort hinunter. Einer der Streifenpolizisten vor der Absperrung

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