Mein ist der Tod
Fischerbrunnen vom Heiseplatz und war von den Bildern nicht geschockt, sondern fühlte sich dem Täter überlegen. Zweifellos besaß er, der unauffällige Kulturkritiker, kriminalistische Qualitäten und konnte zur Aufklärung der Morde wesentlich beitragen. Er würde zu dem Brunnen gehen, die Verdachung anheben und nachsehen, ob das Computerspiel mit der Realität übereinstimmte. Dann würde er Swoboda anrufen.
Der American Staffordshire Terrier Thor hatte ihm den Erfolg verdorben. Aber Swoboda erschien.
Törring, der beim Team stand, das den Brunnen und sein abgesperrtes Umfeld untersuchte, hatte ihn gerufen, und Herking sah ihn von der Altstadt her im hellen Trenchcoat den Mahrring heraufkommen. Unter dem offenen Mantel trug er den farbverfleckten Blaumann, in dem er an seinen Bildern arbeitete. Er beeilte sich nicht, ahnte, dass ihn ein schwer erträglicher Anblick erwartete.
Rüdiger Törring kam ihm schweigend entgegen und führte ihn zu den Bänken oberhalb des Brunnens. Das Team unterbrach kurz die Arbeit, noch immer sahen sie in Swoboda den Chef. Vom mittleren Terrassenbogen blickte er in den steinernen Nachen hinab. Dort lag in einem Nest aus moosgrünen Plastikfetzen der tote Kampfhund auf der zerstückelten Leiche von Iris Paintner. Swoboda hatte einiges gesehen in seinem Berufsleben. Das hier ließ ihn denken, dass nur ein Hieronymus Bosch so etwas hätte malen können.
Inzwischen hatten sich auf dem unteren Teil des Platzes etliche Zuschauer eingefunden. Der obere Teil mit den Sitzrängen war von der Polizei geräumt worden.
Swoboda schien immer noch in das Boot zu starren. Doch er hielt die Augen fast ganz geschlossen; das Bild, das sich ihm bot, wurde unscharf. So, dachte er, ist Iris Paintner in den Himmel gefahren, denn wer so leidet, muss nicht warten auf den Jüngsten Tag. Aber diesen Anblick kann man in kein Kirchenfenster malen. Jedenfalls, so lange sie nicht als Märtyrerin heiliggesprochen ist.
Er hob den Kopf und blickte zur Altstadt hinüber, von der man die rückwärtige Mauerflanke der Prannburg sah. Irgendwo dort lebte ein wahnhafter Killer, der blondgelockten Frauen den Kopf und die linke Hand abschlug. Vielleicht stand er sogar unten mitten zwischen den Schaulustigen. Was war das für ein Mensch, der zugleich brutal und intelligent und gebildet genug war, sich in Computerspielen zu verrätseln und Dantes Göttliche Komödie für seine Zwecke zu benutzen? Ein Profiler vom BKA hatte Michaela Bossi mitgeteilt, dass er von einer vollkommen gespaltenen, akademischen Täter-Persönlichkeit ausginge. Ein unauffälliger Bildungsbürger, dessen andere Seite wahnhaft und skrupellos war, eine Jekyll-und-Hyde-Existenz. Swoboda wusste das auch ohne Profiler.
Das Tatortteam hatte seine Arbeit beendet, der Hundekadaver und die Teile im Boot waren geborgen und in sterilen Plastikkästen abtransportiert worden.
Doch der ehemalige Kriminalhauptkommissar stand noch immer an derselben Stelle auf dem mittleren Bogen des terrassierten Hangs zum Oberen Glan, hatte die Hände in die Manteltaschen gesteckt und hielt die Augen halb geschlossen.
Wieder spürte er den alten Hass auf die Stadt, der sich in ihm seit seiner Jugend angesammelt hatte. Damals war sein jugendlicher Übermut schuld, vielleicht auch Überheblichkeit: Er hatte die bürgerliche Oberschicht der Stadt verachtet, diese Leute, die stolz darauf waren, noch das hässliche Stadtwappen mit der Zunger Zick für gute Geschäfte genutzt zu haben.
Auf weißem Grund ließ da ein schwarzer Ziegenkopf seine rote Zunge links lappenartig aus dem Maul hängen, was blöde aussah und zu anstößigen Deutungen Anlass gegeben hatte, in jüngerer Zeit aber zum Markenzeichen geworden war: Neben dem Zickerbier der Brauerei Sinzinger gab es die hellgrauen Zickjacken eines örtlichen Walkjankerherstellers zu kaufen, weiße Korksohlensandalen, die Zickles hießen und englisch ausgesprochen sein wollten, und in der ältesten Konditorei der Stadt daumengroße schwarze Zuckerziegen mit roter Hängezunge, die als Zickerchen guten Absatz fanden. Die Wappenziege hatte auch dem ortsberühmten Zickbrunnen auf dem Kornmarkt den Namen gegeben. Erstaunlich, dass das weithin sichtbare Zungener Wahrzeichen auf der Landspitze zwischen den drei Flüssen, ein runder Turm mit grünem Kupferdach, der einst die Winden einer Seilfähre über die Mahr beherbergte, nicht etwa Zickfried hieß, sondern Mäuseturm. 1794 auf dem spitzen Ende der Altstadt zwischen Mühr und Mahr und
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