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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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dann in die künstliche Welt des Computerspiels um, wo die Ähnlichkeit mit der Realität erhalten blieb, aber aus digital gemalten Räumen und Gegenständen bestand. Er ließ die Holzabdeckung langsam transparent werden, die im Boot liegenden, grünen Pakete wurden sichtbar, verschwammen, die Teichfolie bleichte aus, gab ihren Inhalt preis, und die Stücke verwandelten sich zurück in den unzerteilten weißen Leichnam von Iris Paintner, in deren offener Brust kein Herz mehr war. Ihren Kopf gönnte der Täter den Fahndern noch nicht. Auch fehlte die Hand an ihrem linken Arm.
    Dann unterlegte er die Sequenzen mit dem Epilog aus Sergej Rachmaninows Oper Francesca da Rimini. Er hatte sich im Internet für die dramatische Aufnahme mit Göteborgs Symphonikern unter Neme Järvi entschieden. Die Musik dauerte eineinhalb Minuten. Die Schreie der Chöre A–a …! steigerten sich in dem Maße, in dem die Tote erkennbar wurde. Als ihr Leib digital geheilt schien und die Haut vom Täter per Mausklick mit einem lebendig wirkenden Rosa versehen wurde, endete die Oper mit Pauken- und Beckenschlägen.
    Das Ergebnis sicherte er mit dem Passwort für den Start der Endlosschleife. Es war, wie er meinte, kinderleicht: Francesca da Rimini . Zu leicht? Er programmierte einen Auflösungsbefehl: Nach drei falschen Passworteingaben würde sich das Bild in graue und weiße Pixel auflösen.

    Noch einmal führte er sich sein Werk vor Augen und sah, dass es gut war.

    In jener Nacht, als die Rotmilane an die Nelda zurückkehrten und ihren Brutsommer vorbereiteten, träumte der Täter von einer weichen kühlen Hand, die er in seiner rechten Hosentasche fand, und die er mit seiner eigenen Hand zerquetschen konnte. Es war eine Befreiung.
    Am nächsten Morgen erwachte er in guter Laune. Als ihm die Morde, die er begangen hatte, bewusst wurden, krümmte er sich im Bett zusammen. Das Zittern kam wie erwartet und breitete sich durch seinen ganzen Körper aus. Er spannte seine Muskeln an, konzentrierte sich auf die Gründe seiner Taten und genoss, das Gesicht in den Kissen, die eintretende Erlösung: Seine Vernunft sprach ihn frei von den Verbrechen. Er war ein Werkzeug des Schicksals, für das er nicht verantwortlich war. Folglich war ihm nicht freigestellt, sich anders zu entscheiden als für den Tod der drei Hydra-Erscheinungen. Sie hatten ihn tausendfach verdient.
    Entspannt lag er auf dem Rücken und blickte zur Dachverglasung hinauf. Kein Sonnentag. Wie lange würde es wohl dauern, bis sie den Kopf dieser Saskia fanden? Er lachte leise. Bertran de Born, Dantes fahrender Sänger mit dem eigenen Schädel in der Hand … Und Donizettis Oper über die geköpfte Anna Bolena …
    Sie waren ja alle so ahnungslos. Und bildeten sich weiß Gott was darauf ein, ihre Computer bedienen zu können. Würden sie irgendwann verstehen, dass jedes seiner Opfer seine Dantebarke und seine Arie bekam? Er war ihnen voraus, uneinholbar, hatte ihre Phantasie in der Hand. Er stand auf, zog seinen Morgenrock aus schwarzer Seide an, der vielfarbig mit Drachenmotiven bestickt war, und lief wie jeden Morgen zuerst zu dem alten Bücherschrank am westlichen Ende des Raums, öffnete ihn und berührte die drei Glaszylinder, die je vier Liter fassten und deren Deckel mit Silikon abgedichtet waren. In der Morgendämmerung betrachtete er die bleichen Hände. Jede schien in der siebzigprozentigen Ethanollösung, die sie konservierte, zu schweben, und versicherte ihm, dass ihre Besitzerin tot war. Er legte den Kopf schief, um den Schmuck genauer sehen zu können, die zwei davon noch am Ringfinger trugen, und flüsterte den Händen Namen zu, damit sie nicht vergaßen, wem sie gehört hatten: der einen Teufelin, die drei Mal in anderer Gestalt und mit neuen Händen zurückgekehrt war.
    Er schloss den Schrank leise, streckte seine Arme und hob vom Schrankdach den zylindrischen Lederköcher mit seinem Schwert herunter, klappte den Deckel auf und entnahm das Thaitsuki Roiyaru Sanmai Katana.
    Es ließ sich, wie an jedem Tag, leicht aus der Scheide ziehen und folgte mit einem geradezu heiteren Fauchen den Armschwüngen und Handdrehungen seines Meisters durch die Luft.
    Tageslicht, das durch das bodentiefe Nordfenster einfiel, überzog den polierten Stahl mit flirrenden Reflexen.
    Er ließ das Katana beidhändig über sich kreisen, stöhnte vor Lust, erhöhte die Schnelligkeit, das Schwert führte Luftpirouetten aus, sein Meister sprang in einem wirbelnden Tanz von Opfer zu Opfer und schlug

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