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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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Körpergröße war und nicht über die nötige Kraft verfügte, dieser Lokomotive aus Muskeln Herr zu werden.
    Verena Züllich, die oberhalb des Brunnens auf einer Terrassenbank saß und das zweite Kräuterlikörfläschchen an diesem Morgen öffnete, schüttelte den Kopf, hatte aber nicht die Kraft, sich zu empören.
    Auf den vorderen Bänken der Terrasse über dem Brunnen saßen einige junge Männer in schwarzem Leder, rauchten und tranken Dosenbier, auch sie vermutlich ohne regelmäßige Beschäftigung. Sie hatten ihren Spaß an Herr und Hund, verzogen sich aber, als Conan die Kette, an der Thor ihn hinter sich her zerrte, losließ, und das Tier mit einem Satz in die Brunnenschale sprang. Hätte die Stadtverordnung nicht vorgesehen, jährlich erst um den zehnten Mai Wasser einzulassen, wäre Thor abgekühlt worden und hätte sich beruhigt. So aber sprang er aus dem trockenen Becken wieder hinaus, jagte über die Bänke der halbrunden Terrasse, kehrte um, fiel zwei Stufen hinunter, stand auf, schüttelte seinen quadratischen Schädel und setzte zum Sprung auf die Skulptur in der Brunnenmitte an, den Fischernachen auf der Welle. Er landete auf der Holzabdeckung des steinernen Bootes.
    Verena Züllich hatte sich nicht von der Stelle bewegt und ihren Schnaps gesüffelt. Sie starrte fasziniert auf den Hund.
    Man hörte, wie Thor mit seinen Zähnen das Holz aufbrach, die Bretter spaltete und zerbiss. Kaum hatte er ein Loch in die Abdeckung gerissen, hob er mit seinem Kopf die mittlere Palette hoch und ließ sie in die Brunnenschale hinabgleiten. Er sprang in das offene Steinboot und fuhrwerkte darin herum, ohne dass irgendjemand außer Frau Züllich sehen konnte, was er dort tat. Dann stieß er die zweite Palette vom Boot und fing an, die Klebebänder und die Teichfolie um die Glieder von Iris Paintner zu zerfetzen.
    Die jungen Männer kehrten zurück, stiegen auf die Terrasse und blickten neugierig von oben ins Boot. Sie wurden bleich und schwiegen. Verena Züllich kippte vornüber und spuckte. Conan war auf eine Bank der dritten Stufenreihe gestiegen und sah fassungslos, womit sich sein Thor beschäftigte. Er rief Thor! Thor! Thor!, was die Lederjungs neben ihm missverstanden. Einer hob die Faust und schrie Halt‘s Maul!, ein anderer rief die Polizei.

    Herking ließ es sich später nicht nehmen, den Kommentar zu verfassen, der auch in den Landesteil der Hauptausgabe gestellt wurde. Er befürwortete die Erschießung des Kampfhundes Thor. Das brachte ihm eine Rüge des Herausgebers ein, der sich nicht mit Tierschützern anlegen wollte. Doch im Prinzip stimmte man Herking zu. Auch eine Leiche hatte Anspruch auf Schutz vor Kampfhunden. Da der American Staffordshire Terrier nicht anders zu bändigen und von seiner Beschäftigung mit der Toten abzubringen war, hatte einer der Streifenbeamten es für notwendig gehalten, das Tier zu töten.
    Der Redakteur war Augenzeuge des Ereignisses, hatte sich folglich nicht auf Aussagen anderer verlassen.
    Er ahnte allerdings nichts von dem Angriff des Hundes auf die sterblichen Überreste von Iris Paintner, als er fast gleichzeitig mit dem Polizeikommando am Brunnen eingetroffen war und sich mit einem Griff in die Tasche seines Jacketts vergewissert hatte, dass der Umschlag mit der neuen DVD noch da war.
    Was hatte diesen sanften und zeitlebens vorsichtigen Mann dazu gebracht, detektivisch vorzugehen und auf eigene Faust einen Tatort zu erkunden? Denn Herking wusste, was im steinernen Nachen lag. Er hatte am Morgen die dritte Folge des Computerspiels Mein ist der Tod im Zeitungsbriefkasten seines Hauses gefunden.
    Dass dem Absender seine Privatadresse bekannt war, wunderte ihn nicht, doch dass er Herkings Fähigkeiten, Literatur und Verbrechen zusammenzudenken, derart unterschätzte, war schon fast beleidigend. Natürlich hatte der Journalist die Zeilen, die ihm vorgesagt wurden, nach den Erfahrungen mit den beiden ersten Folgen wieder Dante zugeordnet:

    Und während dieser Geist mir das gestanden,
    Der andre weinend mir das Herz zerrissen,
    Fühlt ich todgleich, wie mir die Sinne schwanden.

    Er hätte etwas Zeit gebraucht, um herauszufinden, aus welchem Gesang der Göttlichen Komödie die Verse stammten. Doch als er die Musik hörte, lachte er laut auf. Rachmaninows Francesca da Rimini war für den Opernexperten ein Wink mit dem Zaunpfahl. Als er mit dem Passwort Francesca da Rimini, das er lächerlich einfach fand, die Filmsequenz öffnete, erkannte er nach Sekunden den

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