Mein ist der Tod
gesagt.
Aminata hörte ihren Vater kaum, sie blickte zwischen dem Nachtregenbogen und dem Mondkrokodil hin und her, spürte das Blechdöschen mit den Dingen ihrer Ahnen in der Hand und fühlte sich plötzlich befreit von der Angst, falsch in ihrer Welt zu sein. Verblüfft spürte sie eine neue Lebendigkeit in sich, Kraft, Mut, sogar Stolz. Als habe sie plötzlich begriffen, dass es in einer Welt, in der nachts Regenbögen entstanden, auf dem Mond ein weißes Krokodil wohnte und Katzen Stiefel und Hüte trugen, nichts Falsches geben konnte. Alles, auch das Ungewöhnlichste gehörte dazu. Auch dass jemand schwarz und weiß zugleich sein konnte.
Sie war frei.
Joseph Mboge erwachte davon, dass seine Frau ihm eine Decke über die Knie legte.
Ich habe von Aminata geträumt, sagte er.
Ja.
Mariama strich ihm über den Kopf. Aber du hast geweint im Schlaf. Ich wusste nicht, ob ich dich wecken sollte. Komm ins Haus, das Essen ist fertig. Aminata hat vorhin eine Mail geschickt. Ihr Job in London ist verlängert worden, sie hat jetzt einen Vertrag für drei Jahre. Ist das nicht wunderbar?
Er blickte in den Abend und dachte an seine Tochter, die ihm über den Kopf gewachsen war. Jetzt war sie mit vierunddreißig Jahren als Ethnologin fest bei einem Nachrichtenmagazin angestellt. Sie hatte sich in London ihr eigenes Leben aufgebaut – in dem Europa, das er als kalt und voller Hass in Erinnerung hatte und wo im Mond kein weißes Krokodil wohnte und es keine Nachtregenbögen gab.
Vielleicht hatte Aminata Bansang schon längst vergessen und die heiligen Krokodile von Kachikally bei Bakau, zu denen er oft mit ihr gefahren war. Langsam würde auch der Gambia River mit seinem Licht aus ihrer Erinnerung verschwinden.
In den Wasserflächen der überfluteten Uferstreifen spiegelte sich der blaugraue Himmel, an dem noch ein paar rötliche Federwolken leuchteten. Und wieder hatte Joseph Mboge das Gefühl, dass etwas Unerklärliches bevorstand, etwas, das kommen würde und noch kein Gesicht hatte.
TAGEBUCH
Dante hat mich zu meiner Mutter geführt.
Er hat sie mir wiedergeschenkt:
Beatrice. So heißt seine angebetete Geliebte, die ihn an der Hand nimmt..
Der Name meiner Mutter war Beate. Die Glückliche. Auch wenn mein Vater sie nie so genannt hat. Irgendwas gefiel ihm nicht an dem Namen.
Aber ich liebe den Namen Beate!
Als ich zum ersten Mal Beatrice las, erkannte ich, was Dante mir sagen wollte:
Ich musste nur die Buchstaben von Beate abziehen von Beatrice , und es blieben drei Buchstaben übrig:
r, i, c.
R.I.C.
Requiescat in caelum :
Sie möge ruhen im Himmel.
Mit dem Namen seiner Geliebten Beatrice hat Dante mir versprochen: Deine Mutter Beate ruht im Himmel .
Dort wird sie mich in die Arme schließen.
IX
Der Täter
DIE ROTMILANE KEHRTEN IN DIESEM JAHR später als üblich aus ihren Überwinterungsgebieten in Südandalusien zurück. Waren sie sonst schon Ende Februar, Anfang März in den Nelda-Auen zu sehen, so zogen sie in diesem Jahr erst im April wieder in das Brutgebiet ein und setzten ihre Streitereien um die alten Horste bis in die frühen Nachtstunden fort.
Der Täter sah in der linken oberen Ecke seines Fensters den halben Mond, an dem die großen Raubvögel als Schatten vorüberjagten. Wenn Tote Engel werden, dachte er, könnten seine Opfer hier sehen, wie er im Computer Dantes Commedia in Todesbilder verwandelte.
Er hielt den Laptop auf den Knien, hatte den Bildschirm schräg aufgeklappt, dessen Widerschein seine Augen aufleuchten ließ und sein Gesicht mit einer bläulichen Blässe überzog. Er sah müde aus und starrte auf das Display, so als fürchtete er, die Verbindung zu der Maschine, seinen Bildern und Dantes Dichtung zu verlieren. Die Augen hatten mehr Jahresfalten als üblich bei Menschen seines Alters, sie kennzeichneten ihn, den man bei ungenauem Blick allenfalls für Mitte Zwanzig gehalten hätte, als einen Erfahrenen, der Abgründe hinter sich hatte. Jung war an ihm nur die Unbedenklichkeit, mit der er handelte.
Seine Morde hatten Spuren hinterlassen. Wachte er morgens als unbeschriebenes Blatt auf, wurde er, kaum bei Bewusstsein, von den Bildern seiner Taten überfallen, begann am ganzen Leib zu zittern, wühlte seinen Kopf ins warme Dunkel der Bettdecke, zwang sich zu erinnern, warum er gemordet hatte, und wartete auf den Moment, wenn ihn die Woge von Rechtfertigungen erlöste: Aus den Morden, die er begangen hatte, machten seine unabweisbar guten Gründe etwas Selbstverständliches,
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