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Mein Ist Die Nacht

Mein Ist Die Nacht

Titel: Mein Ist Die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schmidt
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genug, um zu wissen, dass er
angestrengt nachdachte, und schwieg ebenfalls. Frankas Blick glitt
nach vorn. Sie starrte auf die Scheibenwischer, die den nassen
Schlamm in kurzen Intervallen von der Windschutzscheibe des Audi
schwappen ließen. Das Haus, in dem Thomas Belter wohnte, lag
am Altmarkt in Schwelm, einem historischen Platz, der um diese Zeit
verlassen dalag. In kaum einem Fenster der umliegenden Gebäude
brannte noch Licht, und auch die Restaurants, die den Platz
tagsüber mit Leben erfüllten, waren geschlossen. Im
Schritttempo steuerte Micha den Audi über das
Kopfsteinpflaster, als er linkerhand eine Reihe von
Parkplätzen erblickte. Er setzte kurzerhand den Blinker und
parkte den Audi. Franka war bereits ausgestiegen und blickte sich
auf dem Altmarkt um, als sie eine Gestalt im Schatten eines
Hauseingangs liegen sah. Zusammengekrümmt wie ein Embryo im
Mutterleib, der weite Mantel ausgebreitet wie eine Decke über
dem Körper. Im ersten Augenblick dachte sie an einen
Obdachlosen, der Schutz im überdachten Eingang des Hauses
gesucht hatte, doch als sie näher trat, erkannte sie die
Blutlache, in der der Mann lag. Der graue Schneematsch unter ihm
hatte eine tiefrote Färbung angenommen. Ihr Pulsschlag
beschleunigte sich, als sie sich zu Micha umwandte, der sich
gemächlich näherte.
    »Micha,
verdammt, komm her!«, gellte ihre Stimme durch die Stille der
Nacht. »Hier liegt einer.«
    Micha beschleunigte
seine Schritte und warf die Zigarette, die er sich gerade
angezündet hatte, achtlos in den Matsch. Die Glut erlosch mit
einem leisen Zischen. Seine Schuhe patschten laut durch den
Schneematsch. Der Hüne ging neben Franka in die Knie und
betrachtete die leblose Gestalt. Nachdem er dünne
Einweghandschuhe übergezogen hatte, berührte er den Mann,
der mit dem Rücken zu ihnen lag.
    »Hallo«,
rief er und rüttelte an der Schulter des Unbekannten.
»Können Sie mich hören?«
    Wie ein nasser Sack
rollte die leblose Gestalt auf den Rücken. Der Oberkörper
war eine einzige Wunde. Micha und Franka erkannten mit einem Blick,
dass hier jede Hilfe zu spät kam. Der Mann hatte die Augen im
Moment des Todes weit und anklagend aufgerissen, sein Mund stand
einen Spalt breit offen. Wieder die offenen Augen. Wieder der
offene Mund.
    Vorsichtig
öffnete Micha den Mantel des Toten und zog dessen Brieftasche
hervor. Er klappte sie auf und fand seinen
Personalausweis.
    »Wir sind zu
spät gekommen«, flüsterte er und richtete sich
auf.
    »Wovon sprichst
du?« Eine steile Falte hatte sich auf Frankas Stirn gebildet.
Sie spürte, wie sich ihre Kopfhaut zusammenzog.
    »Das hier ist
Thomas Belter.« Micha klappte die Brieftasche des Toten zu.
»Ruf die Kollegen vom KK 11 in Hagen an - die sind
zuständig für Schwelm. Sieht aus, als würden wir mit
den Hagenern an einem gemeinsamen Fall arbeiten.«

 
    15
    23.20
Uhr
    Mit blinder Wut
steuerte er den Wagen durch die engen Straßen der Nordstadt,
die ihn immer wieder an die Straßenschluchten in San
Francisco erinnerten. Die Karre musste verschwinden, soviel stand
fest. Sie hatten ihn geblitzt, als er in zu hohem Tempo die
Stadtgrenze passiert hatte. Das hätte einfach nicht geschehen
dürfen, hämmerte es immer wieder durch seinen Kopf.
Spontan fiel ihm das Parkhaus am Karlsplatz ein. Von dort aus
würde er mit einem der Linienbusse, die hier zu jeder Tag- und
Nachtzeit anhielten, weiterkommen können.
    Er überlegte, ob
es sinnvoll war, den Wagen in der Tiefgarage für eine Zeit
lang zu verstecken. Die Karre gehörte ihm nicht, also
würde man ihn nicht zwangsläufig mit der Geschichte in
Verbindung bringen. Es war ihm freigestellt, mitten in der Nacht
mit dem Auto zu fahren, das tat er sonst schließlich auch.
Das Radarfoto war im Kasten, er hätte einfach vorsichtiger
sein sollen. Solange er bezahlte, würde es nicht zu einer
Anhörung kommen. Kein Hahn würde nach ihm krähen.
Eigentlich lief doch alles nach Plan.
    Außerdem wusste
er nicht, ob der Riesenwagen in das enge Parkhaus passte. Also
verzichtete er auf unnötigen Aktionismus und steuerte die
verfallene Gegend am Wupperufer an. Den Wagen parkte er in einer
verlassenen Nebenstraße. Unbeobachtet erreichte er das
düstere Gemäuer der alten Fabrik und blickte an der
Fassade empor. Hier hatte er sein erstes Opfer gefunden. Sie hatte
ihm gehört, und sie hatte ihm vorzüglich gemundet. Lange
Zeit hatte er das Ritual vorbereitet. Fast bedauerte er es ein
wenig, dass er sich nun einen anderen Wirkungsort suchen

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