Mein Ist Die Nacht
21.33 Uhr gab es einen
Anruf, der für uns interessant sein könnte.« Sie
blickte auf ihre Notizen. »Der Anrufer hieß Thomas
Belter. Er hat seine Freundin als vermisst melden wollen, doch da
sie erst seit zwei Stunden verschwunden war, hat der Kollege ihn
abgewiesen. Es sei keine Gefahr im Verzug gewesen, und für ihn
klang das alles nach einer kleinen Eifersüchtelei. Ihr Name
ist Mandy Klimmek, siebenundzwanzig. Sie arbeitet wohl gelegentlich
als Model. Und sie hatte ein Shooting bei einem Fotografen namens
Clay. Ort des Geschehens war eine alte Fabrik in der
Wesendonkstraße. Die Tatzeit, die uns der Notarzt genannt
hat, könnte in das Zeitfenster passen.«
»So spät
abends geht sie zu einem Typen und lässt sich fotografieren?
Das ist ja ein tolles Früchtchen«, murmelte Micha. Er
zog am Rest seiner Zigarette und drückte den Stummel im
Aschenbecher aus. »Da kann ich diesen Belter gut verstehen,
dass ihm der Job seines Mädchens missfällt. Woher wissen
wir, dass es sich bei dieser Mandy Klimmek um unsere Leiche
handelt?«
»Wir wissen es
gar nicht«, räumte Franka ein und massierte sich
den Nasenrücken. »Es ist
nur eine Möglichkeit, die wir nicht außer Acht lassen
sollten. Sie ist schlank und blond, hat blaue Augen. Insofern passt
die Beschreibung auf unsere Leiche. Und sie hat eine markante Narbe
über dem rechten Hüftgelenk und ein
Arschgeweih.«
»Franka!«
Micha schnaubte vorwurfsvoll.
»Naja, so ein
blödes Tattoo halt. So was würde ich mir nicht für
viel Geld stechen lassen, aber eine Menge Leute bezahlen ja sogar
dafür.«
»Och, es gibt
tolle Tattoos …«
»Wir schweifen
ab. Also, zwei Identifikationsmerkmale hätten wir.« Sie
griff zum Hörer und telefonierte mit den Kollegen der
Rechtsmedizin. Wenige Minuten später wusste sie, dass es sich
bei der grausam zugerichteten Leiche tatsächlich um das
Hobbymodel Mandy Klimmek handelte. Die markanten Merkmale fanden
sich auch am Körper der Leiche. Also hatte der ängstliche
Freund Recht behalten, als er seine Freundin als vermisst gemeldet
hatte. Franka hatte Lust, dem Kollegen in der Notrufzentrale ein
Disziplinarverfahren anzuhängen, weil er dem dringenden
Verdacht von Thomas Belter nicht nachgegangen war. Doch sie war
keine Nestbeschmutzerin und verzichtete auf weitere Schritte. Der
Kollege in der Notrufzentrale hatte ihr die Handynummer gegeben,
die sie nun wählte. Doch es meldete sich nur die
Mailbox.
»Er hat das
Handy aus.«
»Das ist doch
gar nicht so ungewöhnlich«, erwiderte Micha und trank
einen Schluck Kaffee. »Viele Leute machen nachts ihr Handy
aus, um nicht gestört zu werden.«
Franka schüttelte
den Kopf. »Würdest du dein Handy abschalten, wenn du
deine Freundin vermisst und dir Sorgen um sie
machst?«
Er nickte und gab ihr
recht. »Nein, wohl nicht. Dann müssen wir nochmal
los.«
Mit einem weiteren
Anruf hatte Franka die Adresse von Thomas Belter erfragt. Er wohnte
in Schwelm, der östlichen Nachbarstadt von
Wuppertal.
»Wir sollten zu
ihm fahren und uns von Thomas Belter ein Foto seiner Freundin
zeigen lassen«, schlug Franka vor.
»Und ihm
gleichzeitig die Nachricht ihres Todes überbringen, wenn wir
sie auf dem Foto identifiziert haben«, brummte Micha und nahm
die Füße von der Schreibtischkante. Der alte
Bürostuhl, auf dem er saß, ächzte bedenklich. Er
leerte seinen Kaffeebecher und beförderte ihn mit einem
eleganten Wurf in den Papierkorb.
Franka riss sich
wahrlich nicht darum, Angehörigen Todesnachrichten zu
überbringen. »Fahren wir vorher noch an der alten Fabrik
vorbei?«, fragte sie, während sie sich erhob und die
Mappe mit Schlüssel und Fahrzeugpapieren für einen der
vier Dienstwagen an sich nahm.
Micha schlüpfte
in das dicke Baumfällerhemd und steckte die Zigaretten und das
Feuerzeug umständlich in die Brusttasche. »Nein«,
sagte er. »Das können wir auf dem Rückweg
erledigen. Oder wir schicken einen Streifenwagen vorbei. Aber
erstmal will ich keine Zeit verlieren.«
14
22.50
Uhr
Franka hatte den
silbernen Audi des KK 11 genommen, einen von vier zivilen
Dienstwagen, die der Abteilung dauerhaft zur Verfügung standen
und über Funk verfügbar waren. Die Temperatur war weiter
gestiegen, und Regen hatte den Schnee nun vollends tauen lassen.
Graue Matschfontänen wurden von den Reifen des
unauffällig lackierten Dienstwagens durch die Luft
geschleudert. Michas Blick war stur nach vorn gerichtet,
während er fuhr.
Franka betrachtete ihn
von der Seite. Sie kannte ihn gut
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