Mein Ist Die Nacht
musste.
Doch es war einfach zu gefährlich, den alten Kasten noch
länger zu seinem Domizil zu machen. Dort würden sie seine
Verfolgung aufnehmen und ihn zur Strecke
bringen.
Er lächelte
genießerisch, als er sich an den Geschmack ihres warmen,
zuckenden Fleisches erinnerte, und leckte sich über die
Lippen, als er an ihr Blut dachte.
Er wollte
mehr.
Doch er würde bei
Null anfangen müssen, darüber war er sich im Klaren. Hier
würden noch in dieser Nacht alle Spuren verschwinden, denn nur
so war er sicher, dass er sein Treiben ungehindert fortführen
konnte. Es gab genug Frauen, die sich ihm hingaben. Und es war ein
Kinderspiel, sie für seine Sache zu gewinnen. Doch das
nächste Mal durfte es nicht mehr in der alten Fabrik
geschehen. Der Aufwand, den er für sein Ritual betrieb, war
hoch. Er durfte kein Risiko eingehen.
Er betrat das
leerstehende Gebäude und marschierte die Stufen in das obere
Stockwerk empor. Ich werde um eine weitere körperliche
Betätigung heute Nacht wohl nicht herumkommen, dachte er, als
er die Räume des Schreckens erreichte und sich an sein Werk
machte. Ein teuflisches Werk.
16
23.30
Uhr
Die Spurensicherung
war noch nicht eingetroffen, was Franka auf die längere
Anfahrt der Kollegen aus Hagen schob. Lediglich der Notarztwagen
parkte unweit des Tatortes. Franka und Micha standen ein wenig
abseits des Geschehens. Streifenwagen parkten schräg auf den
Bürgersteigen, und in fast allen Häusern am Altmarkt
brannte nun Licht. Rotweiß schraffiertes Polizeiabsperrband
flatterte im Wind. Streifenbeamte waren damit beschäftigt, die
Gaffer auf Distanz zu halten. Franka hatte ein Dejà-vu, denn
das alles hatte sie in dieser Nacht schon einmal gesehen. Jeder
wollte etwas gesehen und gehört haben, und die uniformierten
Kollegen waren damit beschäftigt, die Aussagen der mehr oder
weniger vermeintlichen Zeugen aufzunehmen. »Großes Kino
auf dem Dorf hier«, bemerkte Micha mit säuerlicher
Miene. Sie wandten sich an den Notarzt. Dr. Gabriel, ein schlanker
Endvierziger mit kurz geschorenem Haar und einer dünnen
Brille, nickte ihnen zu. Gabriel führte Franka und Micha zu
der Stelle, wo die Leiche, die man mit einem Tuch vor den
neugierigen Blicken der Nachbarn schützte, gefunden
hatte.
»Er wurde mit
mehreren Messerstichen ermordet«, erklärte Dr. Gabriel.
»Das Opfer hatte keine Chance. Das sind bestimmt zehn bis
zwanzig Messerstiche; der Mörder muss wie im Wahn immer und
immer wieder auf sein Opfer eingestochen haben.« Der
Mediziner zog die Mundwinkel nach unten und deckte den Leichnam
wieder ab. »Was der Mann allerdings um diese Zeit hier
draußen tat, weiß ich nicht.
Sein Mörder aber
ist eine Bestie, das weiß ich.«
»Hat der
Mörder ihn … gebissen?« Franka achtete auf jede
Reaktion im Gesicht des Mediziners. Doch im Augenblick betrachtete
er die junge Kommissarin nur fassungslos.
»Was wollen Sie
hören?«
Micha schaltete sich
ein. »Ob es Bisswunden gibt, ob der Mörder ihm mit den
Zähnen die Kehle zerfetzt hat, ob er sein Fleisch gegessen
hat, weiß der Geier.« Er stapfte ungeduldig von einem
Fuß auf den anderen und rieb sich die Hände. Ihm war
kalt.
Gabriel blickte ihn
betreten an. »Sagen Sie mal, sehen Sie zu viele
Splatterfilme?«
»Ich würde
nicht fragen, wenn ich keinen Grund hätte«, entgegnete
Micha wütend. Der unterschwellige Vorwurf in der Stimme des
Notarztes prallte an ihm ab.
»Nein«,
murmelte Gabriel. »Nichts dergleichen. Aber eines steht fest:
Derjenige, der das getan hat, war blind vor Wut oder
wahnsinnig.«
»Oder er wollte
sicher sein, einen lästigen Zeugen aus dem Weg geräumt zu
haben«, überlegte Franka und tauschte einen Blick mit
Micha. Er zuckte unmerklich die breiten Schultern.
»Haben Sie
zufällig ein Handy bei ihm gefunden?«, fragte er den
Arzt.
Kopfschütteln.
»Dann besteht
die Möglichkeit, dass es in seiner Wohnung liegt.« Er
zog Franka vom Fundort der Leiche weg. »Wir müssen uns
in seiner Wohnung umsehen. Vielleicht finden wir dort einen
Hinweis. Idealerweise liegt dort auch sein Handy.«
»Wenn es
derselbe Täter ist, ist das Mordmotiv klar«, murmelte
Franka, als sie außerhalb der Hörweite des Arztes waren.
»Er hat Belter bis hierher verfolgt, um ihn zu töten.
Vermutlich hatte er Angst, dass er ihm gefährlich werden
könnte und hat deshalb einen zweiten Mord in Kauf
genommen.«
»Dumm gelaufen,
denn jetzt sind wir erst recht hier«, brummte Micha.
»Der hält uns ganz schön auf
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