Mein Ist Die Nacht
ein und ließ den Motor an. Die
Reifen drehten durch, als er die Kupplung kommen ließ. Aus
dem Radio klang leise Musik. Er summte die Melodie mit. Langsam
normalisierte sich sein Puls.
Er genoss es, wie der
Wagen die Straße zurück nach Wuppertal zu fressen
schien. Tief lehnte er sich in die Polster des Sitzes zurück
und umklammerte das Lenkrad. Die Motorleistung faszinierte ihn
immer wieder. Und es war schwer, den Fuß vom Gas zu nehmen,
als er die Stadtgrenze von Wuppertal erreichte. Die B 7 war gut
ausgebaut in diesem Teilstück und sogar der Winterdienst hatte
ganze Arbeit geleistet.
Den roten Blitz, der
die Nacht für den Bruchteil einer Sekunde in ein
gleißendes Licht verwandelte, bemerkte er, als es bereits zu
spät war. Der brennende Schmerz in den Augen war
unerträglich für ihn, der das Licht so sehr verabscheute.
Ein spitzer Schrei kam über seine blutleeren Lippen, als er
das Tempo drosselte und die Augen zu schmalen Schlitzen
zusammenkniff. Ihm war, als hätte man ihm die Klinge eines
Messers in die Augen getrieben. Prompt verriss er das Steuer. Die
Reifen schlidderten über den nassen Asphalt, der Wagen brach
aus und raste auf eine Reihe abgestellter Lastwagen zu. Immer
größer wurden die kantigen Aufbauten der schweren
Fahrzeuge. Wie uneinnehmbare Festungen wuchsen die Lastwagen vor
ihm in den Nachthimmel. Wild steuerte er gegen und konnte im
letzten Sekundenbruchteil verhindern, mit einem der Trucks zu
kollidieren. Langsam fuhr er weiter und lenkte den Wagen an den
Straßenrand. Dort angekommen, ließ er die Kupplung los.
Der Wagen vollfährte einen letzten Hüpfer, bevor der
Motor erstarb. Die plötzlich eintretende Stille rauschte in
seinen Ohren. Er sank über dem Lenkrad zusammen und barg das
Gesicht in den Händen. Grelle Lichtblitze tanzten wie
Irrlichter vor seinen Augen, und der Schmerz schwand nur in
quälender Langsamkeit aus seinem Kopf. Als er nach ein paar
Minuten die Augen wieder öffnete, erkannte er sein Umfeld nur
schemenhaft. Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis er wieder
normal sehen konnte und der Schmerz erträglich
wurde.
Langsam nur
registrierte er, dass er mit seinem Wagen in eine Radarfalle
gefahren war.
13
22.25
Uhr
Sie hatten die
Datenbänke der Vermisstenmeldungen durchforstet und nichts
gefunden. Zig Fotos von jungen, blonden Frauen betrachtet, aber das
Gesicht der Toten befand sich nicht unter ihnen.
Im Präsidium
herrschte kaum Betrieb; nur die Kriminalwache und die
Polizeiinspektion Ost waren rund um die Uhr besetzt. Franka hatte
Kaffee aus dem Automaten auf dem Korridor des Präsidiums
geholt. Nun saßen sie sich im Schein der kleinen
Arbeitslampen an ihren Schreibtischen gegenüber und stierten
ins Leere, während sie schweigend tranken. Micha hatte sich
eine Zigarette angezündet und paffte. Das im
Polizeipräsidium herrschende Rauchverbot ignorierte er; und
Franka hatte keine Probleme
damit.
Franka hatte die
Füße auf den Schreibtisch gelegt und die Hände
hinter dem Kopf verschränkt. »Wir stehen mit leeren
Händen da, weil es bundesweit keine Vermisstenmeldung gibt,
auf die die Beschreibung unseres Mordopfers zutrifft«,
ärgerte sie sich. »Entweder vermisst sie niemand
… oder…«
»Oder ihr
Verschwinden ist noch niemandem aufgefallen, weil sie noch gar
nicht vermisst wird«, führte Micha ihre Gedanken zu Ende
und formte mit den Lippen kreisrunde Rauchkringel, die er an die
hohe Decke des Büros blies.
»Dann haben wir
eine kleine Chance«, bemerkte Franka, nahm die
Füße von der Schreibtischplatte und griff schon zum
Telefon. »Ich frage die Kollegen der Notrufzentrale, ob dort
etwas eingegangen ist, das mit unserem Fall in Verbindung stehen
könnte.«
»Tu, was du
nicht lassen kannst.« Micha paffte scheinbar gedankenverloren
weiter und glaubte nicht an einen Erfolg. Er ahnte, was seine
Kollegin vorhatte.
Es dauerte nur wenige
Minuten, bis Franka den diensthabenden Beamten der Notrufzentrale
am Apparat hatte. Ihre Wangen glühten, und sie kritzelte
einige Notizen auf die Schreibtischunterlage. So plötzlich,
dass Micha erschrak, schlug sie mit der flachen Hand auf den
Schreibtisch.
Ihr Gesicht hatte eine
tiefrote Färbung angenommen.
»Warum habt ihr
nicht gleich reagiert?«, schrie sie in den Hörer und
schüttelte den Kopf. »Ja, schon gut. Ich werde mich
darum kümmern.« Sie warf den Hörer des altmodischen
Telefons auf die Gabel und stöhnte gequält
auf.
»Das glaubst du
nicht«, rief sie Micha zu. »Um
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