Mein Ist Die Nacht
Auftrag.
Endlich ging es voran, dachte sie und lächelte stumm vor sich
hin, während ihre schlanken Finger auf dem Lenkrad ruhten.
Für die junge Architektin hatten sich die Mühen der
letzten Wochen gelohnt. Sabine, ihre Kollegin, war noch in Berlin
geblieben. Ihr konnte es recht sein. Dann sollte Sabine halt morgen
mit dem Zug nach Wuppertal kommen. Vermutlich hatte sie Angst
gehabt, bei diesem Wetter den weiten Weg mit dem Auto zu fahren,
und das, obwohl sie wusste, dass Daniela eine gute Fahrerin war.
Irgendwann hatte sie sogar einmal an einem Fahrsicherheitstraining
teilgenommen.
Sie atmete tief durch,
als sie das Ortseingangsschild von Wuppertal passierte. Zwar waren
es noch ein paar Kilometer bis zu ihrer gemütlichen
Dachgeschosswohnung in Elberfeld, doch sie freute sich bereits
darauf, sich den Abend mit einem Schaumbad und einem Film im
Fernsehen zu versüßen. Vor ihr lag eine einsame,
unbeleuchtete Landstraße, und sie wusste nicht, wann ihr das
letzte Fahrzeug begegnet war. Wenn es im Bergischen Land schneite,
zogen es die Menschen vor, ihre Häuser nicht zu verlassen,
wenn es nicht zwingend notwendig war. Daniela Sauer starrte in die
Lichtlanzen, die ihrem Wagen vorauseilten. Vor einigen Kilometern
hatte es begonnen zu schneien, und inzwischen war die Straße
von einer dünnen, aber geschlossenen Schneedecke
überzogen. Außer ihr war kein anderes Fahrzeug
unterwegs, aber das störte die junge Frau nicht im Geringsten.
Die Vorfreude auf die eigenen vier Wände überwog die
Angst vor den rutschigen Straßen.
Als die Flocken, die
vor dem Wagen herumtanzten, dicker wurden, drosselte sie das Tempo.
Daniela wollte nichts riskieren. Obwohl sie zusätzlich zum
Abblendlicht die Nebelscheinwerfer eingeschaltet hatte, war ihr,
als würde sie geradewegs auf eine weißgraue Wand
zufahren.
Sie passierte jetzt
ein ausgedehntes Waldgebiet, doch die dicken Stämme der alten
Bäume nahm sie nur schemenhaft rechts und links der Fahrbahn
wahr. Die Zweige, die im Sommer ein natürliches Dach über
der Straße bildeten, schienen unter der Last des Schnees zu
ächzen. Immer wieder fiel Schnee aus den Bäumen, um mit
einem satten Klatschen auf dem Hardtop des Wagens zu
landen.
Das Heizgebläse
lief auf Hochtouren und hatte dennoch Mühe, die Scheiben
beschlagfrei zu halten. Aus dem Radio klang leise Musik, und die
junge Geschäftsfrau spürte, wie sie von einer beinahe
trügerisch wohligen Müdigkeit übermannt
wurde.
Durchhalten, sagte sie
sich, gleich habe ich es geschafft. Viel hatte sie in den letzten
Tagen in der Hauptstadt erreicht: Ihr hatte ein lukrativer Auftrag
gewunken, und sie freute sich, den Zuschlag des Kunden heute, kurz
vor ihrer Abreise, bekommen zu haben. Es lief gut in ihrem Leben,
sie war jung, sie war erfolgreich - und sie sah gut aus. Das
behaupteten jedenfalls ihre Freundinnen, mit denen sie sich dreimal
in der Woche im Fitnessstudio traf. Sekundenlang vergaß sie
die Müdigkeit, die ihre Glieder lähmte. Daniela warf
einen kurzen prüfenden Blick in den Innenspiegel. Sie sah eine
hübsche Frau mit einem schmalen Gesicht und braunen Augen, das
von schulterlangen blonden Haaren eingerahmt wurde. Ihre Nase fand
sie selber ein wenig zu lang, aber damit hatte sie sich im Laufe
der Jahre arrangiert. Auch wenn sie derzeit keinen festen Freund
hatte, so hatte es ihr noch nie Mühe bereitet, das starke
Geschlecht für sich zu gewinnen. Wenn sie Lust auf Sex
verspürte, war es eine leichte Übung für sie, sich
einen One-Night- Stand aufzureißen.
Sie war noch nie
alleine nach Hause gegangen, wenn sie es nicht gewollt
hatte.
Doch jetzt lagen
dunkle Ringe unter ihren Augen - ein untrügliches Zeichen von
Müdigkeit, gegen das auch ihr dezent aufgelegtes Make- Up
nicht ankam. Aber sie war allein, und deshalb störten sie die
Makel nicht weiter. Sie hatte viel gearbeitet in letzter Zeit.
Vielleicht wurde es mal wieder Zeit, unter Leute zu gehen, dachte
sie mit einem sehnsüchtigen Lächeln. Daniela beschloss,
sich am kommenden Wochenende mit Freunden in der Düsseldorfer
Altstadt zu treffen. Vielleicht gab es mal wieder einen neuen Club,
den sie ausprobieren mussten. Dann würde sie Party machen,
feiern bis in die Morgenstunden. Vielleicht würde sie sich
dann auch wieder mal einen One-Night-Stand gönnen. Auf eine
feste Beziehung hatte sie augenblicklich keinen Nerv. Der Job
schlauchte sie und nahm viel Zeit in Anspruch. Nur die wenigsten
Männer kamen damit klar, dass sie eine erfolgreiche
Karrierefrau
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