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Mein Ist Die Nacht

Mein Ist Die Nacht

Titel: Mein Ist Die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schmidt
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war und sich auch alleine im Leben zurecht
fand.
    Als sie den Blick
wieder nach vorn auf die verschneite Fahrbahn richtete, erschrak
sie. Wie aus dem Nichts tauchte wenige Meter vor dem Wagen ein hoch
gewachsener Schatten auf. Die Scheinwerfer erfassten eine Gestalt
und tauchten sie in grelles Licht. Die junge Frau trat instinktiv
das Bremspedal des Wagens bis zum Bodenblech durch. Nur das
Antiblockiersystem verhinderte, dass der Wagen ins Schliddern kam
und von der Fahrbahn in den Graben rutschte. Es setzte ein und
brachte das Bremspedal unter ihren Sohlen zum Pulsieren.
    Mit weit aufgerissenen
Augen starrte sie auf den Menschen, der da todesmutig über die
verschneite Straße marschierte. Er hatte die Hände tief
in den Manteltaschen vergraben. Als er ihren Wagen bemerkte,
blickte er auf und riss die Arme hoch. Im Bruchteil einer Sekunde
registrierte Daniela, dass es sich bei der menschlichen Gestalt um
einen Mann handelte, der dunkle Kleidung trug. Einen weiten, langen
Mantel und einen breitkrempigen Hut, der ihn vor dem Schnee
schützte. Seine Gesichtshaut wirkte aschfahl und irgendwie
wächsern im Licht der Scheinwerfer. Sein Gesicht glich einer
Maske. Er schrie irgendetwas, doch seine Laute gingen im
Motorgeräusch des Wagens völlig unter.
    Die junge Frau hatte
Mühe, den Wagen auf der Straße zu halten. Das Coupe
schlitterte über die geschlossene Schneedecke. Daniela fand
keine Zeit, die Hupe zu betätigen. Kurzfristig verlor sie die
Gewalt über den Wagen. Erst im letzten Augenblick sprang der
Mann mit einem beherzten Seitensprung von der Fahrbahn. Dann stand
ihr Wagen. Quer auf der Straße, aber immerhin - er stand. Die
Scheibenwischer schaufelten mit ruckartigen Bewegungen den Schnee
zur Seite, den Motor hatte sie abgewürgt. Ihr Herz pochte ihr
bis zum Hals, sie zitterte am ganzen Leib. Und ihre Müdigkeit
war wie verflogen.
    »Heilige
Scheiße« murmelte sie und schüttelte den Kopf. Der
Mann war aus ihrem Blickfeld verschwunden. Hatte sie ihn doch mit
dem Wagen erwischt? War er verletzt? Sie wagte nicht, den Gedanken
zu Ende zu denken. Umso mehr erschrak sie, als mit einer
ruckartigen Bewegung die Beifahrertüre
aufgerissen wurde. Kalter Wind fegte in den beheizten Innenraum.
Flocken wirbelten herein. Danielas Kopf ruckte herum, und sie
hätte fast hysterisch aufgeschrien, als sich der Fremde zu ihr
hinunter bückte. Seine Miene wirkte versteinert.
    »Spinnen
Sie?«, kreischte Daniela los, nachdem sie die Fassung wieder
gefunden hatte. »Bei diesem Sauwetter mitten auf der
Straße spazieren zu gehen? Sie hätten tot sein
können, Sie Blödmann!« Ihre Stimme überschlug
sich vor Aufregung.
    »Können Sie
mich ein Stück mitnehmen?«
    Er hatte leise
gesprochen, ohne jede Gefühlsregung in der Stimme. Nun
lächelte er fast ein wenig unschuldig. Wenigstens ist er nicht
betrunken, dachte Daniela. Seine Stimme klang seltsam ruhig. Sie
fragte sich, ob er unter Drogen stand. Ein normaler Mensch
wäre froh gewesen, nicht unter die Reifen gekommen zu
sein.
    »Hören Sie
mir nicht zu?«, rief sie. »Es ist glatt, und man kann
die Hand vor Augen nicht sehen, und Sie laufen hier auf der
Straße herum!«
    »Nehmen Sie mich
mit?« Er schien ihr gar nicht zuzuhören.
    Danielas Gedanken
rasten durch ihren Kopf. Der Verdacht, dass der Fremde unter Schock
stand, erhärtete sich. Er schien Hilfe zu
benötigen.
    Vielleicht war er
geistig verwirrt.
    Irgendetwas stimmte
nicht mit ihm.
    Daniela würde ihn
zum Arzt fahren müssen. »Steigen Sie schon ein.«
Ihre Brust hob und senkte sich, und sie pustete sich eine
widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn. Starr blickte sie
nach vorn, dann ruckte ihr Kopf nach rechts. Der Fremde ließ
sich in den Beifahrersitz sinken und zog die Türe
zu.
    »Danke.«
    Daniela
schüttelte den Kopf, startete den Motor und legte den Gang
ein. Sie fuhr im Schritttempo weiter. Die ersten Meter legten sie
schweigend zurück. Beinahe erschrak die Architektin, als er
das Schweigen brach. »Schöner Wagen.« Er
lächelte. Doch es waren nur seine Lippen, die lächelten,
nicht seine Augen. Er schien eine unerklärliche
Grabeskälte auszuströmen. Der Blick seiner grünen
Augen nahm sie förmlich in ihren Bann. Es war, als hätte
er hypnotische Fähigkeiten.
    »Danke. Er ist
ganz neu, ich habe ihn erst letzte Woche bekommen.« Es kam
ihr vor, als wäre sie auf einem fremden Planeten unterwegs.
Sie hatte keine Ahnung, wie der Fremde hierher gelangt war. Die
letzten Häuser lagen schon einige

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