Mein Ist Die Nacht
Baumann bei der Schlüsselübergabe
eines Millionenprojektes, gemeinsam mit dem Innen-, dem
Verkehrsminister und dem Oberbürgermeister. Breitestes
Pressegrinsen. Zumindest bei den Politikern war das so falsch wie
die Versprechen, die sie vor der letzten Wahl abgegeben hatten.
Baumann an der Seite des dauergrinsenden Oberbürgermeisters,
beide mit albernen Bauarbeiterhelmen auf den Köpfen, und damit
beschäftigt, ein weiteres Projekt, das Baumann aus dem Boden
gestampft hatte, freizugeben.
Das alles war nun
vorbei, und der Oberbürgermeister würde sich einen neuen
besten Freund suchen müssen, mit dem er in die Kameras der
Fotografen strahlen konnte. Kurz überlegte er, ob er auch den
Oberbürgermeister aus dem Weg räumen sollte.
Er fühlte sich
unglaublich gut dabei und betrachtete den toten Baumann, der fast
alle Politiker der Stadt geschmiert hatte, um seine Träume zu
verwirklichen.
Schluss
damit.
Nun lag er tot vor
ihm. Er glaubte, das feine Netz der verzweigten Adern unter der
dünnen Haut erkennen zu können und bildete sich ein, den
süßen Duft des noch wannen Blutes riechen zu
können. Er starrte auf Baumanns Halsschlagader, die nie wieder
pulsieren
würde.
Wieder einmal hatte er
über Leben oder Tod bestimmt.
Hatte sich für
den Tod entschieden, hatte das Gefühl unbestimmter Macht
genossen und weidete sich jetzt an dem Anblick des toten
Immobilienhais. Wie armselig er nun zu seinen Füßen lag
- er, der reiche und von sich überzeugte Klaus Baumann. Was
nutzte ihm seine Macht jetzt noch? Nichts, sein ganzes Geld hatte
ihn nicht davor schützen können, ein Opfer zu
werden.
Er war versucht, vor
ihm in die Knie zu gehen und das warme Blut zu trinken. Doch
diesmal war sein Opfer kein Sklave gewesen. Sein Tod war nötig
geworden. Er wollte kein Risiko eingehen. Und Baumann war zu einem
Risiko geworden. Schlimm genug, dass die Bullen bei ihm aufgetaucht
waren. Anfangs war es ihm recht gewesen, dass die Spur der Kripo zu
Baumann geführt hatte. Aber der Vorteil hatte sich zu einer
Gefahr entwickelt. Und er konnte sich kein Risiko
leisten.
Kein Opfer im
eigentlichen Sinne, kein Opfer, um seinen Durst nach Blut zu
stillen.
Schnell ließ er
die Pistole in der Manteltasche versinken. Er ging neben Baumanns
Leichnam in die Hocke und durchsuchte seine Taschen. Dann hatte er
gefunden, wonach er gesucht hatte: Den Wagenschlüssel. Er nahm
ihn an sich und verließ das alte Gebäude, ohne Baumann
noch eines Blickes zu würdigen. Es galt, keine Zeit zu
verlieren. Die Karre musste verschwinden. Eilig betätigte er
den elektronischen Türöffner, stieg ein, verschaffte sich
einen Überblick über die auf den ersten Blick
komplizierten Bedienelemente der Limousine und startete den Motor.
Ein tiefes Wummern durchlief den schweren Wagen. Das war schon
etwas anderes als seine alte Kiste. Er legte einen Gang ein und
betätigte den Knopf der Handbremse. Als er das Gaspedal
antippte, vollführte der Mercedes einen Satz nach
vorn.
Im nächsten
Augenblick setzte Schneefall ein. Dicke Flocken taumelten im
Abendwind zur Erde und schienen auf den Wagen zuzufliegen. An der
Zufahrt zur Straße stoppte er den schweren Wagen.
Verlassen lag das
kleine Industriegebiet da. Gut so, dachte er, denn ungebetene
Zeugen konnte er jetzt nicht gebrauchen. Er trat das Gaspedal bis
zum Bodenblech durch. Der Motor heulte auf, und nur die
Antischlupfregelung konnte verhindern, dass die Antriebsräder
des Mercedes auf dem glatten Untergrund durchdrehten. Gierig
fraßen sich die Lichtlanzen der Scheinwerfer durch die
Dunkelheit. Es galt, keine Zeit zu verlieren. Sein Plan
stand.
Er führte die
Bullen hinters Licht.
52
20.50
Uhr
Sie hatten es sich an
einem der Tische im hinteren Teil des Restaurants gemütlich
gemacht. Nach dem Essen gönnte sich Franka noch einen
trockenen Rotwein, während Micha sich ein Bier bestellt hatte.
Bewusst hatten sie es vermieden, über den Fall zu
sprechen.
»Und deine Frau
lebt noch in Köln?«
»Meine
Ex-Frau«, korrigierte Micha sie lächelnd. »Ja, sie
lebt in einer dieser anonymen Siedlungen am Rand von
Köln-Porz. Es gibt wirklich schönere Ecken in Köln,
aber nun ja. Und das Kuriose ist, dass wir uns seit unserer
Scheidung besser verstehen als zu Zeiten unserer Ehe. Vielleicht
liegt es daran, dass der Druck von außen, immer ein perfektes
Ehepaar zu sein, von einem abfallt, wenn man der Sache vor Gericht
ein Ende bereitet hat.«
»Du triffst sie
noch
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