Mein Ist Die Nacht
Kilometer
zurück.
»Haben Sie sich
in dieser Einöde verlaufen?«, fragte sie, ohne den Blick
von der Fahrbahn zu nehmen. Ihre zierlichen Hände ruhten auf
dem Lenkrad.
»Nein, mein
Wagen ist in den Graben gerutscht.« Wieder sprach er leise,
wohl akzentuiert und mit einem monotonen Klang in der Stimme.
»Der Akku von meinem Handy ist leer. Und ich habe die
Orientierung verloren. Ich bin nicht von hier, müssen Sie
wissen. Eigentlich wollte ich zurück zur nächsten
Ortschaft. Aber ich bin schon so lange zu Fuß unterwegs. Es
erscheint mir sinnvoller, in der Stadt Hilfe zu
organisieren.«
»Ich kann Ihnen
einen Abschleppwagen rufen.«
»Danke, das ist
nicht nötig. Es handelt sich um einen Firmenwagen. Das wird
morgen alles von unserer Zentrale in Köln veranlasst. Ich
werde mir in der Stadt ein Zimmer nehmen und morgen alles in Ruhe
angehen.« Er sah sie nicht an, während er sprach. Seine
Hände lagen auf den Knien. Daniela blickte so unauffällig
wie möglich nach rechts. Er war schlank und ziemlich
groß, fast ein wenig schlaksig. Seine Haare waren
pechschwarz. Er trug sie lang, aber das stand ihm, obwohl sie lange
Haare bei Männern nicht sonderlich mochte. Den Hut hatte er
abgenommen und auf die Rücksitzbank geworfen. Strähnig
hing ihm das schwarze Haar ins Gesicht. Die Hände waren
feingliedrig und ein wenig feminin. Sie fragte sich, welchen Beruf
er wohl ausübte. Wie ein Monteur sah er jedenfalls nicht aus.
Die geheimnisvolle Aura, die ihn zu umgeben schien, nahm sie von
Meter zu Meter, den sie zurücklegten, mehr in den Bann. Er sah
gut aus, hatte ein markantes Profil und sinnlich geschwungene
Lippen. Und trotzdem war er ihr unheimlich. Sie schaltete das Radio
ein. Gedämpfte Musik drang aus den Lautsprechern.
»Übrigens, ich bin Daniela.« Sie blickte zu ihm
hinüber und forschte in seinem
Gesicht.
»Schöner
Name.«
Während er
lächelte, richtete er den Blick nach vorn in die Winternacht.
Es schien, als wäre er in Gedanken. Als würde er in einer
Scheinwelt leben, die nichts mit der Realität und seiner
derzeitigen Situation zu tun hatte. Nur seine Kieferknochen
mahlten, ein Zeichen dafür, dass er angestrengt nachdachte.
Die Vorstellung, dass ein geistig verwirrter, aber deshalb nicht
minder gefährlicher Mann zu ihr in den Wagen gestiegen war,
beunruhigte sie.
»Und Sie? Haben
Sie auch einen Namen?«
»Clay.«
»Sind Sie Brite?
Oder Amerikaner?«
»Nein, mein
Großvater war amerikanischer Soldat, vielleicht liegt es
daran, dass sich meine Eltern für diesen Namen entschieden
haben. Ich habe offen gestanden keine Ahnung.« Er hockte
einfach neben ihr und blickte mit einem Lächeln zu ihr
hinüber. Hinter seiner Stirn schien es trotzdem zu arbeiten.
Als er langsam den Kopf nach links wandte, hatte sich das
Lächeln in seinem Gesicht festgemeißelt. Etwas
Undefinierbares lag im Blick seiner grünen Augen, etwas, das
ihr Angst machte. Daniela erschrak, doch sie musste sich auf die
glatte Straße konzentrieren. »Ist
was?«
»Sie sind
schön.«
»Danke.«
Danielas Stimme zitterte leicht. Sie umklammerte das Lenkrad ein
wenig fester und schalt sich eine hysterische Kuh. Von so einem
Heini würde sie sich nicht einschüchtern lassen. Er
strahlte eine stoische Ruhe aus, und die Tatsache, dass er hier bei
ihr im Wagen saß, schien ihm Sicherheit zu geben.
»Haben Sie einen
Freund?«
»Geht Sie nichts
an.«
»Es wartet also
niemand auf Sie?«
Verdammt, woher wusste
er das? Jetzt ruckte ihr Kopf zu ihm herüber. »Was soll
die blöde Fragerei?«
Er zog die Mundwinkel
nach unten und zuckte die Schultern. Wie ganz zufällig
berührte sein rechter Ellenbogen den kleinen Knopf, der die
Türverriegelung betätigte. Er drückte den Knopf
herunter, und die Zentralverriegelung sorgte mit einem satten
Klicken dafür, dass jetzt alle Türen verschlossen
waren.
Niemand kam in den
Wagen.
Niemand
heraus.
Panik ergriff Daniela.
Ihr Herz begann zu rasen, und trotz der Kälte, die
draußen herrschte, bildeten sich kleine Schweißperlen
auf ihrer Stirn.
»Was soll diese
Scheiße?«
Er ging nicht auf die
Frage ein. »Glaube Sie, dass ich Sie vergewaltigen
will?« Der Fremde zuckte erneut die Schultern.
»Ts«, machte er dann leise. »Sie sind eine
schöne Frau, haben einen sehr anziehenden Hals. Ja, vielleicht
werde ich Sie vergewaltigen, Daniela. Das hängt aber ganz
davon ab, ob Sie sich wehren werden.«
Es dauerte einen
Moment lang, bis sie seine Worte verarbeitet hatte. Dieser
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