Mein ist die Stunde der Nacht
neugierig anstarrte, doch er ignorierte ihn. Jean hat erwartet, entweder ihre Tochter Lily oder Laura hier zu treffen, dachte Sam, während er ausdruckslos auf die Berge auf der anderen Seite des Flusses blickte.
War sie mit vorgehaltener Waffe aus ihrem Auto gezwungen worden oder selbst zu einem anderen Wagen gegangen?
Wer auch immer dieser Psychopath ist, er hat jetzt Jean. Plötzlich schoss Sam ein Gedanke durch den Kopf: Ist Jeans Tochter wirklich in Sicherheit? Er öffnete seine Brieftasche, durchsuchte die Visitenkarten, fand diejenige, die er brauchte, warf die übrigen auf den Beifahrersitz und gab die Handynummer von Craig Michaelson ein. Nach fünfmaligem Summen bat ihn eine Computerstimme, eine Nachricht zu hinterlassen. Leise fluchend rief er Michaelsons Büro an.
»Es tut mir leid«, entschuldigte sich seine Sekretärin. »Mr
Michaelson befindet sich in einer Besprechung in der Kanzlei eines andern Anwalts und kann nicht gestört werden.«
»Es muss sein«, bellte Sam. »Es handelt sich um eine Polizeiangelegenheit – und es geht um Leben und Tod.«
»Sir«, entrüstete sich die affektierte Stimme, »es tut mir leid, aber …«
»Jetzt hören Sie mir mal gut zu, junge Frau. Sie werden sich jetzt augenblicklich mit Michaelson verbinden lassen und ihm sagen, dass Sam Deegan angerufen hat. Sagen Sie Ihrem Boss, dass Jean Sheridan verschwunden ist und dass er unbedingt mit West Point Kontakt aufnehmen muss, damit dort Anweisung gegeben wird, dass ihre Tochter eine ständige Bewachung bekommt. Haben Sie das verstanden?«
»Ja, natürlich. Ich werde versuchen, ihn zu erreichen, aber …«
»Kein Aber. Sprechen Sie mit ihm!«, rief Sam und klappte das Handy zu. Er stieg aus dem Wagen. Ich muss Robby Brents Handy orten lassen, dachte er, aber wahrscheinlich nützt es nichts. Es gibt nur eine einzige Hoffnung.
Er ließ den Polizeibeamten stehen, der angefangen hatte zu erklären, dass er den Vertreter kenne, der sie angerufen habe, um sie auf den Wagen hinzuweisen, und dass er absolut zuverlässig sei. Jeans Handtasche lag auf dem Sitz.
»Wurde irgendetwas rausgenommen?«, fragte Sam scharf.
»Natürlich nicht, Sir.« Der junge Polizeibeamte war sichtlich gekränkt über diese Frage.
Sam vergeudete keine Zeit damit, ihm zu erklären, dass die Frage nicht persönlich gemeint war. Er schüttete den Inhalt von Jeans Tasche auf den Beifahrersitz, dann durchsuchte er das Handschuhfach und alle anderen Stauräume im Innern des Autos. »Wenn es nicht schon zu spät ist, dann haben wir vielleicht noch eine Chance«, sagte er. »Wahrscheinlich hatte sie ihr Handy bei sich. Hier ist es jedenfalls nicht.«
Es war elf Uhr dreißig.
89
UM ELF UHR FÜNFUNDVIERZIG rief Craig Michaelson Sam an, der inzwischen zurück im Glen-Ridge House war. »Meine Sekretärin hat versucht, mich zu erreichen, aber ich bin aus der Besprechung gegangen und habe vergessen, mein Handy einzuschalten«, erklärte er eilig. »Ich bin gerade in mein Büro gekommen. Was ist passiert?«
»Jean Sheridan ist entführt worden, das ist passiert«, sagte Sam kurz angebunden. »Es ist mir völlig egal, dass ihre Tochter in West Point von einer ganzen Armee umgeben ist. Ich möchte, dass Sie dafür sorgen, dass sie eine persönliche Bewachung bekommt. Wir haben es mit einem Psychopathen zu tun, der frei herumläuft. Vor ein paar Stunden wurde die Leiche eines der Ehrengäste aus dem Hudson gezogen. Er ist erstochen worden.«
»Jean Sheridan wurde entführt! Der General und seine Frau befinden sich in diesem Moment im Flieger von Washington – sie wollten heute mit ihr zu Abend essen. Ich kann sie nicht erreichen, während sie in der Luft sind.«
Sams angestaute Sorge und Frustration entluden sich. »Natürlich können Sie das!«, rief er. »Sie können über die Fluggesellschaft eine Botschaft an den Piloten übermitteln, aber dafür ist es jetzt sowieso zu spät. Sagen Sie mir den Namen von Jean Sheridans Tochter, ich werde selbst in West Point anrufen. Den Namen, bitte.«
»Es ist Kadettin Meredith Buckley. Sie studiert im zweiten Jahr an der Militärakademie. Aber der General hat mir versichert, dass Meredith den Campus von West Point am Donnerstag und am Freitag nicht verlassen wird, weil sie Prüfungen ablegen muss.«
»Dann können wir nur beten, dass der General Recht hat«, sagte Sam. »Mr Michaelson, für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich auf Widerstand stoße, wenn ich mit dem Direktor der Akademie spreche, bitte ich Sie,
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