Mein ist die Stunde der Nacht
verunglückt wäre. Als Reaktion darauf wurde er ein Psychotherapeut, der Jugendliche behandelt. Ich frage mich, ob das nicht der Versuch war, den Jugendlichen in ihm zu therapieren.«
Werde Arzt und heile dich selbst, dachte Jean und gab Gordon innerlich Recht.
»Howie – oder Carter, wie er unbedingt genannt werden will – hatte einen Vater, der ihn und seine Mutter regelmäßig verprügelte«, fuhr Gordon fort. »Howie blieb so viel wie möglich von zu Hause weg. Du weißt, dass er öfter dabei erwischt wurde, wie er heimlich bei Leuten durchs Fenster schaute. Warum hat er das getan? Wollte er vielleicht einen kurzen Anblick von einem normalen Familienleben erhaschen? Meinst du nicht auch, dass seine Stücke deshalb dermaßen rabenschwarz sind?«
Jean ließ die Frage unbeantwortet. »Bleiben noch du und ich«, bemerkte sie ruhig.
»Meine Mutter war eine schlampige Hausfrau. Vielleicht erinnerst du dich noch, als unser Haus abbrannte. Damals ging der Witz um, es sei der einzige Weg gewesen, das Haus von Grund auf in Ordnung zu bringen. Heute besitze ich drei Häuser, und ich gestehe, dass es zu einer Obsession für mich geworden ist, dass in jedem dieser Häuser peinliche Sauberkeit herrscht, weshalb auch meine Ehe in die Brüche
gegangen ist. Auf der anderen Seite muss ich sagen, dass sie von Anfang an ein Fehler gewesen ist.«
»Und meine Eltern prügelten sich in aller Öffentlichkeit. Das fällt dir in Bezug auf mich ein, richtig, Gordon?« Sie wusste, dass es genau das war, woran er gedacht hatte.
»Ich habe gedacht, wie leicht Kinder zu verunsichern sind, und dass mit Ausnahme von Laura, die immer die Prinzessin der Klasse gewesen ist, du, Carter, Robby, Mark und ich damals eine schwierige Zeit durchmachen mussten. Dass unsere Eltern es uns noch zusätzlich schwer gemacht haben, war eigentlich überflüssig, und doch war es auf die eine oder andere Weise für uns alle so. Schau, Jean, ich habe mir so sehr gewünscht, ein anderer zu sein, dass ich mir sogar ein neues Gesicht zugelegt habe. Aber es gibt Tage, an denen ich aufwache und feststelle, dass ich immer noch der alte Gordie bin, der Schwachkopf, der blöd aussehende Junge, den man mit Vergnügen und Hingabe ärgerte. Du hast dir einen Namen in akademischen Kreisen gemacht, und jetzt hast du ein Buch geschrieben, das nicht nur sehr gut besprochen wurde, sondern auch ein Bestseller ist. Aber wer bist du wirklich, ganz im Innern?«
Ja, wer? Ganz im Innern bin ich immer noch allzu oft die bemitleidenswerte Außenseiterin, dachte Jean. Doch es blieb ihr erspart, eine Antwort auf die Frage zu geben, weil Gordon mit einem Mal jungenhaft grinste und sagte: »Man sollte beim Essen niemals allzu philosophisch werden. Vielleicht werde ich mich anders fühlen, wenn sie mir diese Medaille um den Hals hängen. Was meinst du, Laura?«
Er drehte sich zu ihr um, und Jean wandte sich Jack Emerson zu, der zu ihrer Linken saß.
»Das scheint ja ein intensives Gespräch gewesen zu sein, das du da mit Gordon geführt hast«, bemerkte er.
Jean fiel auf, wie neugierig er sie dabei ansah. Doch das Letzte, wonach ihr der Sinn stand, war, das Gespräch mit Gordon nun mit ihm fortzusetzen. »Ach, wir haben nur ein
bisschen über unsere Jugend hier geplaudert, Jack«, sagte sie leichthin.
Ich war so unsicher, dachte sie. So dünn und schüchtern. Meine Haare waren strähnig. Immer hab ich darauf gewartet, dass meine Eltern wieder anfangen, sich zu prügeln. Als sie mir gesagt haben, dass sie nur meinetwegen noch zusammenbleiben, fühlte ich mich unendlich schuldig. Alles, was ich wollte, war, so schnell wie möglich erwachsen zu werden und so weit weg wie möglich fortzugehen. Und genau das habe ich auch getan.
»Es war toll, in Cornwall aufzuwachsen«, sagte Jack im Brustton der Überzeugung. »Ich verstehe nicht, warum sich nicht mehr von euch hier niedergelassen oder wenigstens ein Landhaus in der Gegend gekauft haben, jetzt, wo ihr alle so erfolgreich seid. Übrigens, falls du einmal Interesse an so etwas hättest, Jeannie, hätte ich für dich einige Häuschen auf Lager, richtige kleine Schmuckstücke.«
Jean entsann sich, dass Alice Sommers erwähnt hatte, in der Stadt halte man Jack Emerson für den neuen Besitzer ihres ehemaligen Hauses. »Sind darunter auch welche in meiner alten Gegend?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich spreche von Häusern mit einer unglaublichen Aussicht auf den Hudson. Wann kann ich dich zu einer kleinen
Weitere Kostenlose Bücher