Mein ist die Stunde der Nacht
prahlerischen Hochmut nicht ganz wohl in seiner Haut war. »Ich habe gehört, dass Ihre Frau das Klassentreffen wegen einer Geschäftsreise am Samstagmorgen verlassen hat.«
»Das ist richtig.«
»Waren Sie am Samstagabend nach dem Festdinner allein zu Hause, Mr Nieman?«
»Wenn Sie das interessiert: ja. Diese ewig langen Feierlichkeiten ermüden mich.«
Der Kerl ist nicht der Typ, der allein nach Hause geht, wenn seine Frau weg ist, dachte Sam. Also sagte er aufs Geratewohl: »Mr Nieman, Sie wurden gesehen, als Sie in Ihrem Wagen vom Hotelparkplatz wegfuhren. Eine Frau saß neben Ihnen.«
Joel Nieman hob die Augenbrauen. »Nun, vielleicht saß eine Frau neben mir, aber die ging bestimmt nicht auf die vierzig zu. Mr Deegan, wenn Sie darauf aus sind, mir was anzuhängen, bloß weil Laura mit irgendeinem Kerl losgezogen und nicht wieder aufgetaucht ist, schlage ich vor, dass Sie meinen Anwalt anrufen. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen,
ich muss noch eine Reihe von Anrufen erledigen.«
Sam erhob sich und begab sich demonstrativ langsam zur Tür. Als er am Bücherregal vorbeikam, hielt er inne und warf einen Blick auf das mittlere Fach. »Sie haben da ganz schön viel Shakespeare stehen, Mr Nieman.«
»Ich habe mich schon immer für Shakespeare begeistert.«
»Ich habe gehört, dass Sie in Stonecroft den Romeo gespielt haben.«
»Das ist richtig.«
Sam wählte seine Worte sorgfältig. »Hat nicht Alison Kendall sich damals kritisch über Ihren Auftritt geäußert?«
»Sie hat behauptet, ich hätte den Text vergessen. Ich hatte ihn nicht vergessen. Ich habe nur an ein oder zwei Stellen Lampenfieber gehabt. Punkt.«
»Alison hatte wenige Tage nach der Aufführung einen Unfall in der Schule, richtig?«
»Ja, ich weiß. Die Tür ihres Schließfachs ist ihr auf den Kopf gefallen. Alle Jungs wurden deswegen verhört. Ich war immer der Meinung, sie hätten mit den Mädchen reden sollen. Viele konnten sie nicht ausstehen. Hören Sie, das hier wird Sie nirgendwohin führen. Wie ich schon sagte, ich würde meinen letzten Dollar verwetten, dass die vier Mädchen vom Mittagstisch alle durch Unfälle gestorben sind. Es gibt absolut kein Muster. Auf der anderen Seite war Alison wirklich gemein. Sie ist auf den anderen herumgetrampelt. Nach allem, was ich über sie gelesen habe, ist das später auch so geblieben. Ich könnte verstehen, dass jemand sich irgendwann gedacht hat, sie wäre jetzt genug geschwommen in ihrem Leben.«
Er ging zur Tür und öffnete sie demonstrativ. »Den aufbrechenden Gast hindere nicht«, sagte er. »Das ist auch von Shakespeare.«
Sam hoffte, professionell genug zu sein, um sich nicht anmerken zu lassen, was er von Nieman und seiner Art, Alison
Kendalls Tod zu umschreiben, hielt. »Es gibt ein dänisches Sprichwort, das lautet: Fisch und Gäste stinken nach drei Tagen«, bemerkte er. Speziell tote Gäste, dachte er.
»Das hat Benjamin Franklin besser umschrieben«, sagte Joel Nieman schnell.
»Kennen Sie das Zitat von Shakespeare mit den toten Lilien?«, fragte Sam. »Geht ein bisschen in die gleiche Richtung.«
Niemans Lachen glich eher einem unangenehmen, freudlosen Bellen. »›Weit schlimmer noch als Unkraut riechen Lilien, die verwesen.‹ Ein Vers aus einem seiner Sonette. Natürlich kenne ich ihn. Ich muss sogar ziemlich oft daran denken. Meine Schwiegermutter heißt nämlich Lily.«
Auf der Rückfahrt von Rye zum Glen-Ridge House fuhr Sam schneller, als er es normalerweise guthieß. Er hatte die Ehrengäste und Jack Emerson gebeten, sich mit ihm um halb acht zum Abendessen zu treffen. Sein Instinkt ließ ihn vermuten, dass der Schlüssel zu Lauras Verschwinden bei einem dieser fünf Männer – Carter Stewart, Robby Brent, Mark Fleischman, Gordon Amory oder Emerson – lag. Allerdings war er sich da nach dem Gespräch mit Joel Nieman nicht mehr ganz so sicher.
Letztendlich hatte Nieman zugegeben, nach dem Festdinner nicht allein nach Hause gefahren zu sein. Damals bei dem Schließfachunfall in Stonecroft war er der Hauptverdächtige gewesen. Er wäre fast ins Gefängnis gewandert, weil er einen Mann bei einer Schlägerei in einer Bar angegriffen hatte. Und er hatte nicht versucht, seine Befriedigung über Alison Kendalls Tod zu verbergen.
Das Mindeste, was man sagen konnte, war, dass es nicht schaden konnte, Joel Nieman ein bisschen näher unter die Lupe zu nehmen.
Es war genau halb acht, als Sam das Glen-Ridge House betrat. Auf dem Weg zu dem privaten Speisezimmer
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