Mein ist die Stunde der Nacht
beim zweiten Mal zu behalten.«
Dann hatte sie Marks Blick aufgefangen. Oder hast du dir diese ganze Geschichte nur ausgedacht, weil du sie wiederfinden möchtest? Die Frage schwebte unausgesprochen im Raum. Stattdessen sagte er: »Jean, natürlich musst du das weiterverfolgen, und ich bin froh, dass Sam Deegan dir dabei hilft, nachdem du es offensichtlich mit einem psychisch gestörten Menschen zu tun hast. Dennoch möchte ich dich als Psychotherapeut darauf hinweisen, dass du sehr behutsam vorgehen musst. Wenn es dir aufgrund dieser Drohungen gelingt, an geschützte Daten zu kommen, könntest du in das Leben einer jungen Frau eindringen, die nicht darauf vorbereitet und vielleicht auch nicht dazu bereit ist, dir zu begegnen.«
»Du glaubst, ich hätte diese Faxnachrichten selbst geschrieben und an mich gesendet, nicht wahr?« Jean zuckte zusammen, als sie daran denken musste, wie wütend es sie gemacht hatte, dass manche Leute auf diesen Gedanken kommen könnten.
»Natürlich nicht«, sagte Mark sofort. »Aber sag mir eines: Wenn dich jemand in diesem Moment anriefe und dir vorschlagen würde, Lily zu treffen, würdest du dann hingehen?«
»Ja, das würde ich.«
»Jean, hör mir zu. Es könnte sein, dass jemand, der die Sache mit Lily irgendwie herausgekriegt hat, dich ganz
bewusst in helle Aufregung versetzen will, um dich verletzbar zu machen, damit du schneller bereit bist, ohne nachzudenken irgendwohin zu eilen, um dich mit Lily zu treffen. Jean, du musst sehr vorsichtig sein. Laura ist verschwunden. Die anderen Frauen von eurer Mittagsrunde sind tot.«
Mehr hatte er nicht dazu gesagt.
Jean stand auf. In vierzig Minuten wurde sie unten zum Abendessen erwartet. Vielleicht kann ein Aspirin die aufkommenden Kopfschmerzen abwehren, dachte sie, und ein heißes Bad wird mir guttun.
Das Telefon klingelte um zehn nach sieben, als sie gerade aus der Wanne steigen wollte. Einen Moment überlegte sie, nicht ranzugehen, doch dann schlang sie ein Badetuch um sich und eilte in das Schlafzimmer. »Hallo.«
»Hallo, Jeannie«, sagte eine muntere Stimme.
Laura ! Es war Laura.
»Laura, wo bist du?«
»Da, wo ich eine Menge Spaß hab. Jeannie, sag doch bitte den Bullen, dass sie nach Hause gehen können. Mir geht es blendend, ich amüsiere mich prächtig. Ich melde mich bald wieder. Ciao, Liebes.«
50
AM SPÄTEN MONTAGNACHMITTAG fuhr Sam nach Rye, New York, um mit Joel Nieman in dessen Büro zu sprechen.
Nachdem Nieman ihn eine halbe Stunde am Empfang hatte warten lassen, bat er ihn, in seine teuer ausgestattete private Suite einzutreten. Sein gesamtes Gebaren drückte eine nur mühsam unterdrückte Verärgerung über die ungebetene Störung aus.
Sieht mir nicht nach einem Romeo aus, dachte Sam beim Anblick von Niemans schwammigem Gesicht mit den getönten rötlich braunen Haaren.
Nieman wies die Frage, ob er sich während des Klassentreffens mit Laura verabredet habe, mit einer wegwerfenden Handbewegung von sich. »Ich hab den ganzen Quatsch über diesen so genannten Mittagstisch-Killer im Radio gehört«, sagte er. »Ich vermute, das kommt von diesem Schulreporter, Perkins. Den sollte man so lange aus dem Verkehr ziehen, bis er erwachsen ist. Hören Sie, ich war mit diesen Mädchen in einer Klasse. Ich habe sie alle gekannt. Die Vorstellung, dass da eine Verbindung zwischen den Todesfällen bestehen könnte, ist reiner Blödsinn. Nehmen Sie doch mal Catherine Kane. Sie ist mit ihrem Wagen in den Potomac geschlittert, als wir im ersten Jahr am College waren. Cath ist immer schon flott gefahren. Sehen Sie mal nach, wie viele Strafzettel sie in ihrem letzten Highschool-Jahr in Cornwall
wegen zu schnellen Fahrens kassiert hat, dann wissen Sie, wovon ich rede.«
»Das mag schon sein«, sagte Sam, »aber finden Sie nicht, dass dieses Zusammentreffen so außergewöhnlich ist, dass es schwerfällt, an Zufall zu glauben?«
»Klar, es ist schon ’ne ziemlich unheimliche Geschichte, dass fünf Mädchen aus einer Tischrunde gestorben sind. Aber nehmen Sie zum Beispiel den Burschen, der bei uns die Computer wartet. Seine Mutter und seine Großmutter sind im Abstand von dreißig Jahren am gleichen Tag nach einem Herzanfall tot umgefallen. Am Tag nach Weihnachten. Vielleicht ist ihnen aufgegangen, wie viel Geld sie für Geschenke ausgegeben haben, und da hat es sie erwischt. Könnte doch sein, oder?«
Sam blickte Joel Nieman mit tief empfundener Abneigung an, hatte aber zugleich das Gefühl, dass diesem unter seinem
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