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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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einfache Mann, der nicht mit Hochschulbildung und ähnlichem protzen kann, Verrat begeht und deshalb aus der Volksgemeinschaft ausgemerzt werden muß, so wäre es nicht nationalsozialistisch, wollte der Volksgerichtshof bei diesen Angeklagten anders verfahren.
    Sie müssen die Kosten tragen, weil sie verurteilt sind.
    Was für eine Strapaze, solche Wörter und Sätze zu lesen und zu notieren. Ich warf den Mantel über, ging aus dem Haus, roch den Hühnerbratdunst, den ein Wienerwald-Lokal durch meine Straße wehen ließ, ging einmal um den Block. Ich weiß noch, ich konnte nicht anders, ich verschlang gierig ein halbes Huhn, die Fresslust vermengt mit einem wilden, törichten Hass auf das nackte, knusprige Fleisch, und dann ging es weiter mit der Arbeit. Mal von dem Abscheu vor der Vernichtungswut, mal von Faszination an der Primitiviät getrieben, mal vom Stöbern im Nazidreck ermüdet, nahm ich mir vor: Bleib nüchtern wie ein Forscher!
    In jedem Wort fahndete ich nach den Lautverschiebungen von der Wahrheit zur Lüge. Fast jeder Satz führte zu dem schlüssigen Ergebnis: Hier haben keine Juristen geurteilt, sondern Ideologen, die das Labyrinth der Paragraphen gar nicht brauchten. Als hätte es einen Preis gegeben für möglichst unjuristische, möglichst emotionale, möglichst vernichtende Begründungen. Das Maschinengewehrfeuer der Wiederholungen: defaitistisch, kommunistisch, schamlos, intellektualistisch. Allein die Sprache zeigte, wie das Recht gebeugt wurde. Und wie Wörter und Sätze gebeugt werden, bis sie wie Pistolenschüsse, Genickschüsse, Bajonettstöße, wie Folter funktionieren. Hinrichtung mit Vokabeln. Als Zugabe die lächerliche Drohung mit der Ewigkeit, die keine anderthalb Jahre dauern sollte: für immer ehrlos.
    Nüchtern bleiben, wie geht das, wenn die sieben Gründe für die Todesstrafe von 1943 fünfundzwanzig Jahre später oder heute sieben Gründe für Denkmäler, Bücher, Briefmarken, Gedenktage und Schulnamen wären?
    Nüchtern, wie geht das, wenn man angezogen wird von der Sprache der perfekten Perfidie? Gibt es eine Schmerzlust an der Sprache des Ausmerzens?
    Ich hatte ein Ziel, ich war dem Täter, dem Ausmerzer, dem Mörder auf der Spur, und hier hatte ich ihn: Diese Sprache, die kein Komma des Zweifels zuließ, die sich selbst verewigen wollte mit Brüllwörtern und liturgischen Formeln des Ausmerzens, wer diktierte sie? Ein erwachsener Mann. Ein gelernter Jurist. Ein Pfarrerssohn, nebenbei. Ein Kammergerichtsrat, der den Führerauftrag und die Ehre hat, neben dem Präsidenten als Beisitzer des Gerichtshofs zu thronen, als Berichterstatter und Herr der Worte des Urteils.
    Für immer ehrlos: die ganz ordinäre Verbrecher-Clique.
    Für immer die Ehre auf seiner Seite: der Herr Kammergerichtsrat, der auch am 16. Dezember 1943 das Recht nicht gebeugt hat, vielmehr nach seiner innersten wie äußeren Überzeugung gehandelt, gerichtet und hingerichtet hat, und das keineswegs aus niederen Beweggründen, sondern weil das Fallbeil, die Folter, der Bajonettstoß, der Genickschuss, der Pistolenschuss zur Grundlage der höchsten und herrschenden Moral des Ausmerzens gehören, zu den Sakramenten des allerheiligsten Führers, dem dieser Richter,mit Inbrunst und Neigung dienend, sich in freiwilligster Pflicht unterworfen hat: für immer ehrenhaft.
    Beim besten Willen, es gelang mir nicht, den Richter R. zu hassen. So sehr verachtete ich ihn. Aber mit diesem Todesurteil, urteilte ich, hat er sein eigenes Todesurteil unterschrieben. Seine anderen Urteile brauchte ich nicht, ob es 230 oder doppelt oder halb so viele waren. Die Sitzung ist geschlossen.
Bier in Friedenau
    Die Freunde sah ich selten in jenen Wochen. Nach den studentischen Pflichtstunden stürzte ich mich in die geheimen Vorbereitungen und auf das Groscurth-Buch. Überall in der Welt brodelte und kochte es, in Berlin tobte der unerklärte Bürgerkrieg, ich zog mich zurück und gönnte mir kein Kino, keine Bierabende, keine Versammlungen, keine Lesung im Buchhändlerkeller.
    Freie Stunden reservierte ich für Catherine, möglichst oft verbrachte ich mit ihr die Nächte, und heute kann ich zugeben, dass ich das nicht ohne Kalkül tat. Eines war mir klar: Catherine darfst du auf keinen Fall vernachlässigen, denn im Gefängnis wird dir vieles fehlen, Bewegung, Freunde, gutes Essen, Musik, Reisen, Landschaft, und wenn du Pech hast, die Schreibmaschine, aber am meisten die Liebe. Also liebe, was du kannst, liebe Catherine so heftig, wie sie

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