Mein Jahr als Mörder
geliebt sein möchte, liebe auf Vorrat, dann wird sie dich oft besuchen im Gefängnis, ihre Blicke, ihre grüngrauen Augen werden dich ermuntern, mit mehr als fünf Jahren für meinen guten Mord rechnete ich nicht.
Vor allen anderen schützte ich mich mit dem Wort Arbeit und ließ sie in dem Glauben, dass ich mich mit der Doktor arbeit herumschlug. Schon das war kühn, ja verdächtig in den Zeiten des Aufruhrs. Ich ging den selbst ernannten Genossen aus dem Weg, die solche Tätigkeit verachteten und von jedermann revolutionäre Praxis oder wenigstens politische Taten erwarteten. Ich mied die Wohngemeinschaften, auch die von Bruno und Hugo, wo an den großen Küchentischen mit immer reicheren Mahlzeiten an immer längeren Abenden der Gruppendruck wuchs: Was tust du? Was tust du politisch? Und warum? Erkläre dich! Gesteh deine Wünsche, sofort! Deine Geheimnisse, heraus damit!
Sogar die schreibenden Freunde sah ich kaum in jener Zeit. Alle paar Wochen trafen wir uns am letzten Tisch hinten in der Kneipe Bundeseck in Friedenau. Auch wir wollten politisch sein, aber mit Texten, und suchten nach eleganten Lösungen. In der ersten Stunde, das war die Regel, durften nur Kaffee, Wasser oder Cola getrunken und über literarische Probleme geredet werden. Gerüchte aus dem Betrieb, Meinungen über Bücher, Tratsch, all das war erst später beim Bier erlaubt.
Ein Gespräch hat die Erinnerung bewahrt, ein Abend mit Hannes, Klaus, Christoph, Gert, Martin und Jens, sieben junge Männer nüchtern in einem Bierlokal. Der Streit begann mit der von Klaus gestellten Frage, wie viel man an seinen Texten zu feilen habe. Er plädierte dafür, eine gewisse Sprödigkeit, auch Füllwörter zu erhalten, und bewunderte die Lässigkeit amerikanischer Autoren, die auf Verbesserungsvorschläge einfach «Why?» sagen. Wir diskutierten, wie spontan man beim Schreiben zu sein habe oder sein könne. Jens hielt scharf dagegen: In unserer Situation müssten wir genau reflektieren, was wir machen, die so genannte Spontaneität sei eine von Akademikern, die Ballast loswerden wollten, Spontaneität schließe gesellschaftskritische Inhalte aus. Klaus bestritt das. Gert versuchte zu beschwichtigen : Mal sei das Gedicht so, mal wieder anders angelegt.
Christoph setzte neu an: Amerikanische Gedichte seien demokratische Gedichte, offen, weil jeder ähnlich schreibe und jeder Student und Hippie sie verstehe, in den USA würde er auch gegen diese Autoren polemisieren, weil ihnen historischkritisches Bewusstsein fehle, aber uns könne deren offene Schreibweise nur gut tun. Jens witterte in dem Argument die Weigerung jungbürgerlicher Autoren, ihre Lage gründlich zu reflektieren und bestimmte literarische und politische Ziele zu verfolgen. Soll das heißen, fragte Martin, dass jeder Text vorder- oder hintergründig politisch sein muss? Nein, meinte Jens, wir müssen nur unsere Bürgerlichkeit durchdenken!
Klaus mahnte zur Bescheidenheit und warnte vor großen Worten. Christoph sagte: Es gibt politische Texte und schöne Texte, beide hätten ihre Berechtigung, den einen fehle die Subjektivität, den anderen die Objektivität. Jens, im scharfen Ton gegen Christoph: Das Einerseits-Andererseits sei genau die bürgerliche Trennung, genau das müssten wir bekämpfen, eigentlich müssten wir dich bekämpfen! Christoph: Ich bekämpf mich selber schon genug!
Endlich ein Lachen in der Runde, aber Jens' Angriff, das spürten wir, war von persönlicher Aversion getragen. Ich bot einen Kompromiss an: Das «Politische» hier und das «Schöne» da bringe nicht weiter, es komme auf die Vermittlung an, zum Beispiel durch das historisch-kritische Bewusstsein des Autors, ein «schöner» Text eines kritisch-bewussten Autors, sagte ich weiter, sei anders als der eines Naiven. Hannes: Das Gedicht zeige doch das Ich des Schreibers, der versuche, sich so genau wie möglich zu artikulieren. Auch Gert wollte zur Entschärfung beitragen: Das durchreflektierte Formulieren hängt von der Art der Texte ab, die ich mache.
Heute ist der Ernst dieser Sätze zum Lachen. Wir drehten uns im Kreis und bemerkten die Komik unserer Debatten nicht. Wir waren verkrampft in der Furcht vor den Spannungen zwischen Christoph und Jens, dessen Argumente oft mit Verletzungen gespickt waren. Beide wollten Wortführer sein, beide waren schnell mit Patentrezepten zur Hand, bei jeder Debatte gerieten sie heftig aneinander. Schon an einem der ersten Abende hatten sie sich im Streit verbissen, wer der
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