Mein Jakobsweg
Bei der Therapie im Januar, die mir zur Stammzellbildung noch einmal gegeben wurde, entwickelte ich keine Stammzellen. Mitte März sollte ein erneuter Versuch erfolgen. In der Zeit dazwischen konnte ich mich erst mal erholen.
Im Februar flogen wir für zwei Wochen nach Fuerteventura. Zwar fehlte mir die Kraft, um länger als zehn Minuten zu gehen, aber wir hatten einen Südbalkon, den Peter an der Rezeption energisch durchgesetzt hatte. Die Sonne tat mir gut, und das unglaublich intensive Blau des Meeres werde ich wohl nie vergessen.
Als wir wieder in Deutschland waren, versuchten die Ärzte erneut, Stammzellen aus meinem Blut zu gewinnen. Wieder ohne Erfolg.
Danach wurde ich in das Spritzen eines anderen Medikaments eingewiesen. Diese sogenannte »Erhaltungstherapie« sollte den Status erhalten, in dem ich mich befand. Jeden zweiten Abend wurde gespritzt. Davor nahm ich schon zwei Benuron, damit das Fieber erst gar nicht ansteigt. Tat es aber doch.
Am nächsten Tag fühlte ich mich hundeelend, am zweiten Tag ging es mir dann recht gut. Doch am Abend wurde ja schon wieder gespritzt.
In diese Phase fiel unser seit Längerem vorbereiteter Umzug, sodass die Fahrten zu den Kliniken nun jeweils um 30 Kilometer kürzer waren.
Allmählich vergrößerten sich die Lymphknoten, und nach 16 Monaten Spritzen stand ich wieder ganz am Anfang. Noch dazu mit einem durch die vorausgegangenen Therapien stark geschwächten Körper.
Heute sehe ich diese vielen Enttäuschungen in genügendem Abstand. Aber damals wusste ich ja noch nicht, dass ich all diese Prüfungen erst durchleiden musste, um wieder gesund zu werden. Mein Lebenswille drohte allmählich zu erlahmen.
Eine Chemotherapie in Tablettenform wirkte anfangs recht gut und ohne größere Nebenwirkungen. Ich glaubte schon, diese Tabletten endlos weiternehmen zu können. Aber das war ein Irrtum: Schon bald mussten Infekte und hohes Fieber mit Infusionen im Krankenhaus behandelt werden, später kam dazu auch noch eine Gürtelrose. Und dann die vielen Krämpfe, Tag und Nacht. Ich brauchte nur zu husten oder ein Bein zu strecken, schon zogen sich die Muskeln schmerzhaft zusammen.
Diese Therapie konnte also nicht weitergeführt werden. Aber dann sind die Lymphknoten doch gleich wieder da! Was passiert dann mit mir, war meine bange Frage.
Es gibt noch andere Mittel, womit wir den Tumor in Schach halten können, war die Antwort der Ärzte.
Inzwischen hatte ich aber von einer ganz neuen Therapie gehört: Durch Infusionen auf Eiweißbasis wird ein Antikörper in die Blutbahn gebracht, der sich an jede einzelne Tumorzelle andocken und diese dann vernichten soll. Inzwischen griff ich nach jedem Strohhalm. So sprach ich mit meinem Stationsarzt über die Möglichkeit dieser Therapie.
Die sei erst in diesem Monat in Deutschland überhaupt zugelassen worden, sagte er. Allerdings passe sie genau auf meinen Tumor. Aber bisher werde sie nur verabreicht, wenn... Er sprach nicht weiter.
Wenn der Patient austherapiert ist, vollendete ich seinen Satz, und das bin ich ja bald.
Fünf Jahre kämpften die Ärzte und ich nun schon gegen diesen Tumor. Keine Methode hatte dauerhaften Erfolg gehabt. Deshalb entschied sich die Ärztekonferenz für diese Therapie. Doch zunächst musste die Krankenkasse diesem Antrag zustimmen, was sie zum Glück auch tat.
Diese Therapie hat eine einzige Schwierigkeit: Reagiert der Patient auf das Eiweiß allergisch, dann wird es wirklich kritisch. Das war mir bewusst. In fieberhafter Spannung hielt ich den Atem an, als mir diese erste Infusion angelegt wurde.
Ein Krankenpfleger saß an meinem Bett und maß ständig Blutdruck und Temperatur. Der Notfallkoffer stand in Reichweite. Die Ärzte waren in Bereitschaft.
Langsam, Tropfen für Tropfen, gelangte dieses Medikament in mein Blut. Nach zwei Stunden war der Spuk vorbei, und mir ging es richtig gut. Keine Spur einer allergischen Reaktion.
Anfangs wagte ich nicht auf Heilung zu hoffen, dachte, dies ist auch nur wieder eine vorübergehende Phase. Dankbar war ich für jeden Tag, an dem ich morgens aufwachte, dankbar war ich der Sonne für jeden Strahl, den sie zu mir schickte. Glücklich war ich für jede Stunde, die ich mit mir lieben Menschen verbringen durfte. Und ich fand wieder Gefallen am Essen. Die Geschmacksnerven erholten sich, so wie vieles andere auch. Ich konnte wieder längere Zeit gehen, und wir fuhren oft in den Süden. So kam ich schnell über diese ersten Monate des Misstrauens hinweg und bin nun
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