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Mein Jakobsweg

Mein Jakobsweg

Titel: Mein Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Sauer
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Johanniter-Krankenhaus in Rheinhausen sofort aufgenommen, obwohl kein Bett frei war. Jetzt brauchten wir nur noch 40 Kilometer zu fahren und nicht wie vorher 80.
    Ich wurde gründlichst untersucht; mit der Chemotherapie sollte nun sofort begonnen werden. Als Erstes erhielt ich eine Impfung zum Schutz der Lunge gegen Pneumokokken. Diese war längst überfällig gewesen, weil mir die Milz fehlte. Als Nächstes wurde der Lymphknoten unterhalb der linken Achselhöhle operativ entfernt — genau der, der mir schon am längsten furchtbare Schmerzen bereitet hatte.
    War nicht so ganz einfach, den zerfallenen Lymphknoten rauszuholen, sagte später die Chirurgin, die den Verband wechselte.
    Bei der Besprechung zur Chemotherapie stellte ich mit Entsetzen fest, dass sich in den letzten 20 Jahren praktisch gar nichts verändert hatte. Nach einer kurzen Überlegung sagte der Arzt: Stimmt, aber die Nebenwirkungen haben wir heute viel besser im Griff. Allerdings kommen in den nächsten Jahren sehr vielversprechende, ganz anders gelagerte Präparate auf den Markt. Sollte die klassische Chemotherapie nicht greifen, sind Sie vielleicht eine der Ersten, die davon profitieren können.
    Dass ich tatsächlich eine dieser Ersten sein würde, wusste ich damals noch nicht. Bis dahin war es auch noch ein langer Weg. Für mich war jetzt nur wichtig, dass ich bei einem guten Ärzteteam angekommen war, bei dem ich mich gut aufgehoben fühlte. Ich fasste wieder Vertrauen in die Zukunft und dachte, jetzt wird alles gut.
    Aber ich hatte unterschätzt, wie radikal eine Chemotherapie ist. Ich wurde von Tag zu Tag schwächer. Meine Blutwerte verschlechterten sich rasend schnell. Immer öfter dachte ich: Ehe dieser verdammte Tumor kaputt ist, ist mein Körper dahin. In Abständen von längstens drei Wochen sollte' die nächste Therapie erfolgen, aber meine Werte hatten sich nach vier Wochen noch nicht erholt. Einen optimalen Heilungserfolg, stellte ich mit Schrecken fest, konnte ich unter diesen erschwerten Bedingungen nicht mehr erwarten.
    Ich wurde zu einem hilflosen Bündel Mensch, weinte wegen jeder Kleinigkeit oder begann zu toben. Wie oft habe ich in Wut und Zorn auf meiner Perücke herumgetrampelt oder sie in die Ecke geschmissen. Peter konnte sich solche Marotten nicht erlauben. Er musste der Starke sein, an den ich mich anlehnen konnte. Die Haare wachsen doch wieder, sagte er beschwichtigend, aber setz sie jetzt bitte auf, du musst mal hier raus, ich fahre dich spazieren.
    Die Chemotherapie greift alle schnell wachsenden Zellen an, so auch die Schleimhäute. Das Essen entwickelte sich dadurch zu einem echten Problem. Eines Tages sagte ich zu Peter, ich möchte Haferflocken haben. In der Küche stehen sie, in einer blauen Tüte. Koch die mal bitte, aber nur mit Wasser und ohne Zucker. So bekam ich endlich etwas zu essen, das ich auch vertrug. Der warme Brei schmiegte sich in den Magen, und ich fühlte mich so wohl wie schon lange nicht mehr.
    Als eines Tages im Krankenhaus so gar nichts auf dem Tablett war, was ich essen konnte, fuhr Peter extra noch mal die weite Strecke, um mir meine Haferflocken zu bringen. Von da an brachte er sie mir jeden Tag in einer Thermosflasche mit.
    Ein weiterer schwerer Infekt mit zwei Wochen Antibiotika-Infusionen verzögerte den nächsten Therapiebeginn um Wochen. Für die fünfte wurde ich in einem privaten Zweibettzimmer untergebracht. Morgens und mittags wurden Labortests gemacht, dazwischen erhielt ich Spritzen zur Vermehrung der Blutplättchen und Frischblut, und im Übrigen dämmerte ich apathisch vor mich hin.
    Bei der Entlassung gab mir der Chefarzt einen Zettel, auf dem der Termin für eine Klinik in Essen stand. Sie sollten dort hingehen, sagte er. Und meine nächste Therapie, fragte ich ängstlich.
    Er zögerte und suchte wohl nach einer schonenden Erklärung. Doch dann sagte er: Frau Sauer, noch eine Therapie wäre viel zu riskant, wir können hier nichts mehr für sie tun. In Essen-Werden haben sie ganz andere Möglichkeiten, die sind spezialisiert auf Lymphome und Leukämien.
    Die Leiden und Ängste habe ich inzwischen einigermaßen überwunden, und eigentlich gehören sie gar nicht mehr so richtig zu mir. Aber damals dachte ich: Schon wieder eine andere Klinik! Das ist das Ende! Ich weinte auf dem ganzen Weg bis nach Haus.
    In Essen-Werden erklärte uns ein sehr netter Oberarzt die Gewinnung von Stammzellen aus meinem Blut, die nach entsprechender Vorbereitung mein Knochenmark neu aufbauen sollten.

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