Mein Jakobsweg
ich bin von der Verantwortung erlöst.
Ein Hohlweg führt stetig bergan. Die kleinen Hänge rechts und links sind mit Pflanzen überwuchert. Kleine weiße und rote Blümchen drängen sich dazwischen hervor, Moose sind darunter und Grün rankt sich an anderem Grün empor. Sogar ein kleines Pferdefuhrwerk kommt mir entgegen. Ich trete zur Seite, etwas den Hang hinauf.
Schon von Weitem ist die riesige Jakobsmuschel am Ende des Hohlweges zu erkennen. Gelbe Streifen weisen wie Strahlen einer aufgehenden Sonne hinauf zum Himmel. Es handelt sich um einen Brunnen. Auf den hübsch angelegten Bänken im Halbkreis rasten viele Pilger. Fotos werden gemacht, jemand fotografiert auch mich. Ich fülle meine Wasserflasche, nicht ahnend, dass dies die letzte Wasserstelle vor Sarria sein wird.
Der Weg wird immer unbequemer, entweder führt er bergauf oder aber sofort wieder steil hinunter. Zwischen den Steinen fließen kleine Rinnsale hinab, der Pfad ist matschig und sehr unsicher zu gehen. Das Gehen ist sehr anstrengend, immer öfter bleibe ich stehen und trinke einen Schluck. Schnell geht das Brunnenwasser zur Neige.
In einem Tal stehen einige Häuser. Ein Kirchturm mit Friedhof drumherum überragt sie. Später passiere ich zwei oder drei kleine Weiler. Nirgends sehe ich einen Bewohner. Das wäre mir aber im Moment auch nicht so wichtig. Schlimmer ist: Es gibt auch weit und breit keinen Brunnen.
Es ist heiß, sehr heiß, und ein Pilger vom Nordkap sagt, er träume von der Kühle und dem Schnee seiner Heimat. Unter einem Baum sitzen Tom und Elisabeth. Besorgt zeigt mir Elisabeth ihr Knie, das sehr stark geschwollen ist. Eigentlich dürfte sie es nicht mehr belasten. Sie ist sehr niedergeschlagen. Tom könnte ja vielleicht vorgehen, meine ich, und sie dann mit einem Taxi von hier abholen. Aber leider kann ich den beiden nicht wirklich helfen, und ich muss auch weiter. In einem zaghaften Versuch, sie aufzumuntern, sage ich, Buen Camino a Santiago, aber sie schüttelt nur den Kopf, umarmt mich und wünscht mir einen guten Weg. Wir winken uns zum Abschied zu. Immer noch winkend, gehe ich um die nächste Wegbiegung.
Wieder nähere ich mich einer kleinen Ansiedlung, die sogar über ein kleines Gasthaus verfügt. Auf engstem Raum drängen sich die Pilger. Der Wirt und eine Frau in der Küche haben alle Hände voll zu tun. Um etwas zu bestellen, müsste ich mich mit den Ellbogen an die Theke durchdrängen und laut rufen. Ich bin schon so schlapp und von der Hitze benommen, dass mir das im Moment unmöglich scheint. So trotte ich weiter, ohne mir Wasser zu kaufen, in der vagen Hoffnung, dass irgendwann schon ein Brunnen kommen wird. Ich folge nicht der Vernunft, sondern der dumpfen Gewöhnung des Körpers an die Strapazen des Weges.
Natürlich kommt keine Wasserstelle. Ich habe keinerlei Gefühl mehr dafür, wie viele Stunden ich schon gegangen bin, ohne zu trinken.
Meine Kräfte lassen nach. Erschöpft setze ich mich auf die Mauer einer Wiese und beobachte einen recht alten Schäfer, der einen jungen Hund trainiert. Die Aufzucht von Hirtenhunden ist eine Wissenschaft für sich, philosophiere ich, um mich von dem unerträglichen Durst abzulenken, und braucht einen erfahrenen und einfühlsamen Hirten. Immer wieder aufs Neue umkreist der Hund eine kleine Schafherde. Die armen Schafe sind schon ganz eingeschüchtert und beschützen die Lämmer in ihrer Mitte.
Irgendwann gelingt es mir, mich von dem Anblick loszureißen. Schritt für Schritt schleppe ich mich weiter vorwärts. Die schmerzende Ferse spüre ich schon gar nicht mehr. Wenn ich doch nur Wasser hätte, Wasser, Wasser, Wasser!
Ein junges Paar geht an mir vorbei. Sie bleiben dann aber stehen und kommen zu mir zurück. Er bietet sich an, meinen Rucksack zu nehmen. Aber er kann ja nicht zwei tragen, und so lehne ich dankend ab. Doch sie gehen mit mir, und er stützt mich, wenn es mal wieder plötzlich steil bergab geht. Sie sind aus Australien. Ihr Englisch kann ich gut verstehen. Unentwegt beschäftigen sie mich mit ihren Fragen, und ich antworte, so gut ich kann. Immerhin lenken sie mich von meinem schmerzenden Körper ab.
Ja, er ist ein lieber Mann, über 40 Jahre bin ich verheiratet, ja, glücklich. Ich, ach ja, ich bin 63. Mein Sohn ist Professor.
Wirklich Mathematik?
Ja, Mathematik, er spielt gut Schach und gern Klavier.
Und der andere Sohn?
Er ist tot.
Ich bin schon so erschöpft, und sie meinen es so gut damit, mich auf andere Gedanken zu bringen, dass mir gar nicht
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