Mein Jakobsweg
in einer Zeit angekommen, in der ich nicht nur für den Augenblick, sondern wieder in weitere Zukunft planen kann.
Die letzte von vier Infusionen erhielt ich am 07. August 2001 - vor beinahe drei Jahren. Daran, dass ich jetzt schon zwei Wochen zu Fuß auf dem Jakobsweg unterwegs bin, kann man ermessen, wie gründlich sich mein Körper von den Strapazen der vorangegangenen Jahre erholt hat.
»Und dennoch, Krebs ist heilbar.« Diesen prägenden Satz sagte Frau Dr. Mildred Scheel anlässlich einer öffentlichen Fernsehveranstaltung. Eben hatte sie im Rahmen dieser Veranstaltung für die Deutsche Krebshilfe e.V. einen Scheck über Spendengelder entgegengenommen; jetzt stand sie vor vollem Saal oben auf der Bühne, ganz allein mit nichts als einem Mikrofon in der Hand. Unter dem Leitsatz »Wir dürfen die Krebskranken und ihre Familien nicht alleine lassen« hatte Frau Dr. Scheel im September 1974 diese Initiative ins Leben gerufen und mit all ihrer persönlichen Kraft vorangetrieben. Mit ihren stets mahnenden Worten »Gehen Sie zu den Vorsorgeuntersuchungen« verließ Frau Dr. Mildred Scheel an diesem Abend die Bühne. Im Lauf meiner Krankheit gingen mir diese Bilder und ihre Worte oft durch den Kopf: »Und dennoch, Krebs ist heilbar.«
In meinem Fall, so kann ich voller Dankbarkeit sagen, hat sich dieser Satz bewahrheitet.
Ist es das Fieber, das mich alle Stationen meiner Krankheit nochmals durchleben lässt? Oder habe ich doch schon eine Tablette zu viel genommen? Ich weiß es nicht. Fest steht nur: Dass ich jetzt die wunderbare Erfahrung des Pilgerns machen kann, verdanke ich der Beharrlichkeit medizinischer Forschung. Viele Hoffnungen verknüpfen sich mit diesem Medikament, und es könnte ein Mittel der Zukunft werden. Nicht nur für das Lymphom.
Ziemlich genau vor sieben Jahren, im Mai 1997, kaufte ich mir das Buch über den Jakobsweg: »Der Weg ist das Ziel«. Im Juni war ich schon krank und musste mein Vorhaben, nach Santiago zu pilgern, aufgeben. Vielleicht gerade deshalb wurde dieses Buch mein engster Begleiter. Ich kannte jeden Weg und jede Abzweigung, so oft hatte ich darin gelesen. Später, als mir die Konzentration zum Lesen abhandengekommen war, blätterte ich nur noch darin herum und lernte die Ortsnamen und Entfernungen auswendig. Je mehr meine Lebenskräfte schwanden, desto mehr klammerte ich mich an dieses Buch, wie ein Ertrinkender an ein Stück Holz. Das Gehen auf dem Jakobsweg wurde mir zum Symbol für alles, was ich im Leben noch erreichen wollte, wenn mir die Zeit gegeben würde.
Weil es mich durch all die Jahre meiner Krankheit begleitet hat, ist dieses Buch für mich von einer ungeheuren Bedeutung. Es ist eine Mischung aus Erinnerungsstück und Kultobjekt und bleibt unabdingbar mit meiner mir neu geschenkten Lebenszeit verknüpft. Deshalb ist es auch jetzt, wo ich meinen nicht gelebten Traum wahrmache, mein ständiger Begleiter.
Die Sonne blinzelt zum Fenster herein und wirft kleine Muster über meinen Schlafsack. Ich reibe mir die Augen. Nun sollte ich aber aufstehen, denke ich. Müde vom langen Liegen strecke ich meine Glieder und schaue hinaus zum Fenster in den blauen Himmel. Eine kleine weiße Wolke zieht vorüber. Augenblicklich schlafe ich ein und wache erst wieder auf, als eine Gruppe Pilger in mein Zimmer kommt.
Buen Camino, du bist aber früh da, sagt der Mann, der heute Nacht über mir schlafen wird.
Nein, nein, wehre ich ab, ich bin von gestern übrig geblieben.
Als ich später schließlich aufstehe, kommt mir der ältere Herbergswirt schon entgegen und fragt mich, ob ich heute überhaupt schon was gegessen hätte.
Nein, ich habe bis jetzt geschlafen, antworte ich, aber ich will jetzt einkaufen.
Die Geschäfte seien jetzt zu, sagt er, aber ohne Essen lasse er mich nicht gehen. Warten Sie, sagt er, ich gebe Ihnen etwas Suppe, und reicht mir einen Teller mit einer wohlduftenden Gemüsesuppe mit etwas Reis darin. Langsam löffele ich den Teller leer, ich will ja nicht gierig erscheinen. Aber da schöpft er schon nach. Ich bedanke mich für dieses köstliche Mahl und frage, ob die spanische Frau - sie scheint seine Partnerin zu sein - die Suppe gekocht hat. Er nickt bejahend.
Draußen empfängt mich die helle Nachmittagssonne und hüllt mich in ihre Wärme ein. Auf einer Bank vor der Herberge lasse ich mich eine Weile von ihr bescheinen. Danach fühle ich mich innerlich gestärkt, wie neugeboren. Das Grün des Waldes schärft meine Sinne. Das Plätschern eines kleinen
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