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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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muffigen Ecke eines Schützengrabens umgelegt zu werden! Ich dachte auch an den Mann, der mich erschossen hatte, und fragte mich, wie er wohl aussehen möge, ob er ein Spanier oder ein Ausländer sei und ob er wisse, daß er mich getroffen habe. Eigentlich konnte ich ihn nicht richtig hassen. Ich dachte mir, daß ich ihn, da er ja ein Faschist war, auch getötet hätte, wenn es mir möglich gewesen wäre. Und hätte man ihn gefangen und zu uns gebracht, hätte ich ihm nur zu seinem guten Schuß gratuliert. Es mag natürlich sein, daß man ganz andere Gedanken hat, wenn man wirklich stirbt.
    Sie hatten mich gerade auf die Tragbahre gelegt, als mein gelähmter Arm wieder lebendig wurde und verdammt schmerzte. Zunächst aber ermutigten mich die Schmerzen, denn ich wußte, daß Gefühle nicht heftiger werden, wenn man stirbt. Ich fühlte mich wieder etwas normaler, und die vier armen Teufel taten mir leid, die unter der Tragbahre auf ihren Schultern schwitzten und ausglitten. Die Entfernung zum Ambulanzwagen betrug etwa zweieinhalb Kilometer, und es war ein ziemlich übler Weg über holprige, glitschige Pfade. Ich wußte, wie sehr man darunter schwitzt, denn ein oder zwei Tage vorher hatte ich selbst geholfen, einen verwundeten Mann hinunterzutragen. Die Blätter der Silberpappeln, die an einigen Stellen unseren Schützengraben einsäumten, wischten über mein Gesicht. Ich dachte nun, wie gut es doch sei, noch in einer Welt zu leben, in der Silberpappeln wuchsen. Während der ganzen Zeit aber hatte ich einen höllischen Schmerz in meinem Arm. Ich fluchte und versuchte dann wieder, nicht zu fluchen, denn jedesmal, wenn ich tief atmete, schäumte das Blut aus meinem Mund.
    Der Doktor verband die Wunde neu, gab mir eine Morphiumspritze und schickte mich nach Sietamo. Das Lazarett in Sietamo bestand aus schnell errichteten Holzhütten, wo man in der Regel die Verwundeten nur ein paar Stunden ließ, ehe sie nach Barbastro oder Lerida geschickt wurden. Ich war vom Morphium benommen, hatte aber noch immer große Schmerzen, konnte mich praktisch nicht bewegen und schluckte dauernd Blut. Es war typisch für die Methoden in einem spanischen Lazarett, daß die ungeübte Krankenschwester versuchte, mir in diesem Zustand das normale Lazarettessen einzutrichtern. Es bestand aus einem riesigen Teller Suppe, Eiern, einem fetten Stew und so weiter, sie schien überrascht zu sein, daß ich es nicht zu mir nahm. Ich fragte nach einer Zigarette, aber es war gerade eine jener Zeiten, in denen es keinen Tabak gab, und im ganzen Lazarett war keine einzige Zigarette aufzutreiben. Dann kamen zwei Kameraden an mein Bett, denen man erlaubt hatte, die Front einige Stunden zu verlassen.
    »Hallo! Du lebst? Wie geht’s? Gut. Wir möchten deine Uhr und deinen Revolver und deine elektrische Taschenlampe haben. Und dein Messer, wenn du eins hast.«
    Sie machten sich mit meinem gesamten beweglichen Besitz davon. So ging es jedesmal, wenn ein Mann verwundet wurde. Alles, was er besaß, wurde sofort aufgeteilt, und das war richtig, denn Uhren, Revolver und ähnliches waren an der Front sehr kostbar, und wenn sie im Gepäck eines Verwundeten mit zurückgingen, wurden sie ganz gewiß irgendwo am Wege gestohlen.
    Am Abend waren genug Kranke und Verwundete zusammengekommen, um einige Ambulanzwagen zu füllen, und man sandte uns nach Barbastro. Was für eine Reise! Es hieß, man genese in diesem Kriege nur, wenn man an einem der äußeren Glieder verwundet wurde, man müsse aber immer sterben, wenn man eine Wunde im Inneren des Leibes habe. Ich wußte jetzt warum. Niemand mit inneren Blutungen hätte diese kilometerlange Fahrt im holpernden Wagen über eine Schotterstraße, die durch schwere Lastwagen völlig ausgefahren und seit Kriegsbeginn nicht mehr ausgebessert worden war, überstehen können. Peng! Bum! Holterdiepolter! Diese Fahrt versetzte mich in meine frühe Kindheit zurück, und ich erinnerte mich an einen schrecklichen Apparat, das sogenannte Wiggle-Woggle in der Ausstellung der »Weißen Stadt«. Man hatte vergessen, uns auf der Tragbahre festzubinden. Ich hatte noch genug Kraft in meinem linken Arm, um mich festzuhalten, aber ein armer Kerl flog auf den Boden und litt Gott weiß was für Schmerzen. Ein anderer, der noch gehen konnte, saß in der Ecke der Ambulanz und erbrach sich im ganzen Umkreis. Das Lazarett in Barbastro war überfüllt. Die Betten standen so nahe aneinander, daß sie sich fast berührten. Am nächsten Morgen wurde eine Anzahl

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