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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Verständnis dafür. Ja, sie waren schön, nicht wahr? Aber heutzutage nicht zu kaufen. Niemand fertigte sie mehr an – überhaupt stellte niemand mehr etwas her. Dieser Krieg – was für ein Elend! Wir waren uns einig, daß der Krieg ein Elend war. Wieder fühlte ich mich wie ein Tourist. Der Kellner fragte mich freundlich, ob mir Spanien gefallen habe und ob ich nach Spanien zurückkommen werde. O ja, ich würde nach Spanien zurückkommen. Die friedliche Atmosphäre dieser Unterhaltung ist in meinem Gedächtnis haftengeblieben, vor allem wegen der unmittelbar darauf folgenden Ereignisse.
    Als ich in das Hotel kam, saß meine Frau in der Halle. Sie stand auf und kam in einer betont unbekümmerten Weise auf mich zu, was mir auffiel. Dann legte sie einen Arm um meinen Hals und füsterte mit einem süßen Lächeln zu den anderen Leuten in der Halle in mein Ohr:
    »Mach, daß du ‘rauskommst!«
    »Was?«
    »Mach, daß du sofort hier ‘rauskommst!«
    »Was?«
    »Bleib hier nicht stehen! Du mußt schnell hinaus!« »Was? Warum? Was willst du eigentlich?«
    Sie faßte mich am Arm und führte mich schon zur Treppe. Auf halbem Wege trafen wir einen Franzosen. Ich will hier seinen Namen nicht nennen, denn obwohl er keine Verbindung mit der P.O.U.M. hatte, war er doch während der ganzen Unruhen ein guter Freund für uns alle. Er schaute mich mit besorgtem Gesicht an.
    »Hör zu! Du mußt hier nicht hereinkommen. Mach schnell, daß du hinauskommst, und verberge dich, ehe sie die Polizei anrufen!«
    Und sieh da! Am Fuße der Treppe schlüpfte einer der Hotelangestellten, ein P.O.U.M.-Mitglied (wovon vermutlich die Direktion nichts wußte), schnell aus dem Lift und sagte mir in seinem gebrochenen Englisch, ich solle machen, daß ich wegkomme. Selbst jetzt begriff ich noch nicht, was geschehen war.
    »Zum Teufel, was bedeutet das alles?« sagte ich, sobald wir auf dem Bürgersteig waren.
    »Hast du denn nichts gehört?«
    »Nein. Was gehört? Ich habe nichts gehört.« »Die P.O.U.M. ist unterdrückt worden. Sie haben alle Gebäude
    beschlagnahmt. Praktisch jeder ist im Gefängnis. Und sie sollen schon Leute erschießen.«
    Das war es also. Wir mußten einen Ort finden, wo wir uns unterhalten konnten. Alle großen Cafés an der Rambla steckten voller Polizisten, aber wir fanden ein ruhiges Café in einer Nebenstraße. Meine Frau erklärte mir, was sich ereignet hatte, als ich weg war.
    Am 15. Juni hatte die Polizei plötzlich Andrés Nin in seinem Büro verhaftet, am gleichen Abend noch hatten sie das Hotel ›Falcon‹ besetzt und alle Männer verhaftet, die dort waren, hauptsächlich Milizsoldaten auf Urlaub. Das Gebäude wurde sofort in ein Gefängnis verwandelt, und in kurzer Zeit war es randvoll mit Gefangenen aller Art. Am nächsten Tage wurde die P.O.U.M. zur illegalen Organisation erklärt und ihre sämtlichen Büros, Buchläden, Sanatorien, Rote-Hilfe-Zentren und so weiter beschlagnahmt. Außerdem verhaftete die Polizei jeden, dessen sie habhaft werden konnte und von dem man wußte, daß er irgendeine Verbindung mit der P.O.U.M. hatte. Innerhalb von ein oder zwei Tagen befanden sich alle vierzig Mitglieder des Zentralkomitees im Gefängnis. Ein oder zwei entkamen möglicherweise und hielten sich versteckt, aber die Polizei bediente sich des Tricks, der in diesem Krieg auf beiden Seiten häufig gebraucht wurde.
    Wenn ein Mann verschwand, hielt man seine Frau als Geisel fest.
    Es ließ sich nicht genau überprüfen, wie viele Leute verhaftet worden waren. Meine Frau hatte gehört, allein in Barcelona seien es vierhundert. Ich bin inzwischen zu der Überzeugung gekommen, daß es damals viel mehr gewesen sein müssen. Man hatte ziemlich sinnlos Leute verhaftet. In einigen Fällen hatte sich die Polizei sogar dazu hinreißen lassen, verwundete Milizsoldaten aus den Lazaretten herauszuzerren.
    Das Ganze war zutiefst erschreckend. Was zum Teufel sollte es bedeuten? Ich konnte verstehen, daß sie die P.O.U.M. unterdrückten, aber warum verhafteten sie die Leute? Soviel man entdecken konnte, wegen nichts. Wahrscheinlich hatte die Unterdrückung der P.O.U.M. einen rückwirkenden Effekt. Jetzt war die P.O.U.M. illegal, und deshalb hatte man das Gesetz gebrochen, wenn man ihr vorher angehört hatte. Wie üblich, hatte man gegen keinen der Verhafteten Anklage erhoben. Die kommunistischen Zeitungen von Valencia jedoch waren nun voll mit Geschichten über eine riesige »faschistische Verschwörung«, Funkverbindungen mit dem Feind,

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