Mein Katalonien
Alle Hauptquartiere der P.O.U.M.-Miliz, die Zentren der Roten Hilfe funktionierten wie üblich, und selbst noch am 20. Juni wußte niemand, selbst so weit hinter der Front wie in Lerida, nur hundertsechzig Kilometer von Barcelona entfernt, was geschehen war. In den Zeitungen von Barcelona wurde nicht ein Wort über die ganze Geschichte erwähnt. (Die Zeitungen aus Valencia, in denen die Spionagegeschichten standen, kamen nicht an die aragonische Front.) Ohne Zweifel war ein Grund für die Verhaftung der Urlauber der P.O.U.M.-Miliz in Barcelona, zu verhindern, daß sie mit der Nachricht an die Front zurückkehrten. Die Abteilung, mit der ich am 15. Juni zur Front fuhr, muß ungefähr die letzte gewesen sein. Ich wundere mich immer noch darüber, wie geheim die ganze Angelegenheit gehalten wurde, denn die Nachschublastwagen, und was dazu gehört, gingen immer noch hin und her. Aber es gibt keinen Zweifel, daß man es tatsächlich geheimhielt, und wie ich später von vielen anderen erfuhr, erfuhren die Soldaten an der Front selbst mehrere Tage später nichts davon. Das Motiv hierfür ist ganz klar. Der Angriff auf Huesca begann gerade, und die P.O.U.M.-Miliz war noch eine selbständige Einheit. So befürchtete man vermutlich, daß die Männer sich weigern würden zu kämpfen, wenn sie wüßten, was geschehen war. Tatsächlich geschah nichts dergleichen, als die Nachricht schließlich doch an die Front gelangte. In der Zwischenzeit müssen viele Soldaten getötet worden sein, ohne zu wissen, daß die Zeitungen in der Etappe sie Faschisten nannten. So etwas ist unverzeihlich. Ich weiß, daß es üblich ist, schlechte Nachrichten von der Truppe fernzuhalten, und das ist in der Regel wohl auch richtig. Aber es ist etwas ganz anderes, Soldaten in die Schlacht zu schicken und ihnen nicht einmal zu sagen, daß ihre Partei hinter ihrem Rücken unterdrückt wird, ihre Anführer des Verrates beschuldigt und ihre Freunde und Verwandte ins Gefängnis geworfen werden.
Meine Frau erzählte mir, was mit unseren verschiedenen Freunden geschehen war. Einige der Engländer und der anderen Ausländer waren über die Grenze entkommen. Williams und Stafford Cottman waren nicht verhaftet worden, als man das Sanatorium Maurin besetzte, und versteckten sich in der Stadt. Dort hielt sich auch John McNair auf, der in Frankreich gewesen war und nach Spanien zurückkam, als man die P.O.U.M. für ungesetzlich erklärt hatte. Das war natürlich übereilt gewesen, aber er wollte nicht in Sicherheit sein, während seine Kameraden in Gefahr waren. Der Rest war einfach eine Aufzählung: »Sie haben den und den erwischt«, und »sie haben den und jenen bekommen«. Es schien, als hätten sie nahezu jeden erwischt. Es gab mir allerdings einen ziemlichen Schock, als ich hörte, daß sie auch George Kopp erwischt hatten.
»Was! Kopp? Ich dachte, er sei in Valencia.« Anscheinend war Kopp nach Barcelona zurückgekommen. Er hatte einen Brief des Kriegsministeriums für den Oberst der gesamten Pionierunternehmungen an der Ostfront. Er wußte, daß man die P.O.U.M. unterdrückt hatte. Aber wahrscheinlich dachte er nicht, daß die Polizei so dumm sein könne, ihn zu verhaften, wenn er sich in einer dringenden militärischen Mission auf dem Wege zur Front befand. Er war zum Hotel ›Continental‹ gekommen, um seine Seesäcke zu holen. Meine Frau war gerade ausgegangen, und die Hotelleute hatten es fertiggebracht, ihn mit einer Lügengeschichte aufzuhalten, während sie die Polizei anriefen. Ich muß zugeben, daß ich außer mir war, als ich von der Gefangennahme Kopps hörte. Er war mein persönlicher Freund, ich hatte monatelang unter ihm gedient, ich hatte zusammen mit ihm unter Beschuß gelegen, und ich kannte sein persönliches Geschick. Er war ein Mann, der alles geopfert hatte – Familie, Nationalität und Lebensunterhalt –, und das nur, um nach Spanien zu kommen und gegen den Faschismus zu kämpfen. Sollte er jemals in sein eigenes Land zurückkehren, würde er viele Jahre Gefängnis erhalten, denn er hatte Belgien verlassen und war einer fremden Armee beigetreten, obwohl er noch belgischer Armeereservist war. Außerdem hatte er geholfen, illegal Munition für die spanische Regierung herzustellen. Seit Oktober 1936 hatte er an der Front gelegen und sich vom Milizsoldaten zum Major hinaufgedient. Ich weiß nicht, wie oft er an einer Schlacht teilgenommen hatte, einmal war er auch verwundet worden. Ich hatte selbst gesehen, wie er während der
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