Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
Vom Netzwerk:
(Homosexueller) war. Der Sergeant gab uns fünf Minuten »Instruktion«, die darin bestand, uns zu erklären, wie man ein Gewehr lud und wie man den Bolzen herausnahm. Viele Milizsoldaten hatten nie zuvor ein Gewehr in der Hand gehabt, und ich vermute, daß sehr wenige wußten, wozu das Visier da war. Patronen wurden ausgeteilt, jeweils fünfzig pro Mann. Dann traten wir in Reih und Glied an, schulterten unsere Ausrüstung und setzten uns zu der etwa viereinhalb Kilometer entfernten Front in Bewegung.
    Die centuria , achtzig Männer und mehrere Hunde, bewegte sich in unregelmäßigen Windungen die Straße hinauf. Jede Milizkolonne hatte sich zumindest einen Hund als Maskottchen zugelegt. Einem dieser elenden Viecher, das mit uns marschierte, hatte man P.O.U.M. in großen Buchstaben aufgebrannt, und es schlich daher, als ob es wüßte, daß etwas mit seinem Aussehen nicht in Ordnung sei. An der Spitze der Kolonne auf einem schwarzen Pferd ritt Georges Kopp, der stämmige belgische Comandante, neben der roten Fahne. Etwas weiter vorne ritt ein Junge der räuberähnlichen Milizkavallerie stolz auf und ab. Jede kleine Anhöhe galoppierte er hinauf und setzte sich auf der Höhe in malerischer Haltung in Positur. Während der Revolution hatte man die vorzüglichen Pferde der spanischen Kavallerie in großer Zahl erbeutet und der Miliz übergeben, die sie natürlich fleißig zu Tode ritt.
    Die Straße zog sich zwischen gelben, unfruchtbaren Feldern dahin, die seit der Ernte des letzten Jahres unberührt geblieben waren. Vor uns lag die niedrige Sierra, die sich zwischen Alcubierre und Saragossa erstreckt. Wir kamen jetzt näher an die Front, näher heran an die Bomben, die Maschinengewehre und den Schlamm. Insgeheim hatte ich Angst. Ich wußte, daß die Front zur Zeit ruhig war, aber im Gegensatz zu den meisten Männern neben mir war ich alt genug, mich an den Weltkrieg zu erinnern, wenn auch nicht so alt, um mitgekämpft zu haben. Krieg bedeutete für mich donnernde Geschosse und herumschwirrende Stahlsplitter. Vor allem bedeutete es Schlamm, Läuse, Hunger und Kälte. Es ist merkwürdig, aber ich fürchtete mich vor der Kälte mehr als vor dem Feind. Der Gedanke daran hatte mich während der ganzen Dauer meines Aufenthaltes in Barcelona heimgesucht. Ich hatte sogar nachts wach gelegen und an die Kälte in den Schützengräben gedacht, an die Alarmbereitschaft während der gräßlichen Morgendämmerung, die langen Stunden des Wacheschiebens mit einem reifbedeckten Gewehr und den eisigen Schlamm, der über meine Stiefelränder laufen würde. Ich gebe auch zu, daß ich eine Art Grausen spürte, wenn ich mir die Leute ansah, mit denen ich marschierte. Man kann sich unmöglich vorstellen, welch ein elender Haufen wir waren. Wir zogen zerstreut dahin, mit weniger Zusammenhalt als eine Herde Schafe. Wir waren noch keine drei Kilometer marschiert, als man das Ende der Kolonne schon nicht mehr sehen konnte. Gut die Hälfte der sogenannten Männer waren Kinder – und ich meine wörtlich Kinder, sechzehn Jahre alt, wenn es hoch kam. Doch sie waren alle glücklich und aufgeregt von der Aussicht, endlich an die Front zu kommen. Als wir uns der Kampflinie näherten, begannen die Jungen unter der roten Fahne an der Spitze zu rufen: »Visca P . O . U . M !«, »Fascistas – maricones!« und so fort. Ein Geschrei, das kriegerisch und drohend sein sollte, da es aber aus diesen kindlichen Kehlen kam, so pathetisch klang wie die Schreie von Kätzchen. Es schien schrecklich, daß dieser Haufen zerlumpter Kinder, die abgenutzte Gewehre trugen, von denen sie nicht wußten, wie sie bedient wurden, die Verteidiger der Republik sein sollten. Ich erinnere mich, daß ich neugierig war, was geschehen würde, wenn ein faschistisches Flugzeug über uns wegflöge – ob der Flieger es überhaupt für nötig halten würde hinabzustoßen, um uns mit einer Runde seines Maschinengewehrs zu überschütten. Sicherlich konnte er sogar aus der Luft sehen, daß wir keine richtigen Soldaten waren.
    Als die Straße die Sierra erreichte, zweigten wir nach rechts ab und kletterten einen schmalen Maultierpfad hoch, der sich um die Flanke des Berges herumwand. Die Hügel in diesem Teil Spaniens haben eine eigentümliche Form, nämlich die Gestalt von Hufeisen mit fachen Kuppen und sehr steilen Abhängen, die in riesige Schluchten hinabstürzen. Auf den oberen Hängen wächst nichts außer verkümmerten Stauden und Heidekraut, dazwischen lugen überall die weißen

Weitere Kostenlose Bücher