Mein Katalonien
sie nicht so spontan und mehr oder weniger unabhängig gehandelt hätten, wäre es gut denkbar, daß niemand Franco widerstanden hätte. Natürlich gibt es darüber keine Gewißheit, aber es gibt zumindest Gründe, es anzunehmen. Die Regierung hatte wenig oder gar keine Versuche unternommen, dem Aufruhr zuvorzukommen, den man so lange Zeit vorausgesehen hatte. Als die Schwierigkeiten begannen, war ihre Haltung schwach und zögernd; ja so schwach, daß es in Spanien an einem Tag drei Premierminister gab 1 .
1 Quiroga, Barrios und Giral. Die beiden ersten weigerten sich, Waffen an die Gewerkschaften zu verteilen.
Außerdem wurde die Bewaffnung der Arbeiter, vermutlich der einzige Schritt, die unmittelbare Situation zu retten, nur unwillig und als Antwort auf den ungestümen Tumult des Volkes vollzogen. Aber schließlich wurden die Waffen doch verteilt. In den großen Städten Ostspaniens wurden die Faschisten durch eine gewaltige Anstrengung zurückgeschlagen, vor allem durch die Arbeiterklasse, die von einigen bewaffneten Truppen (der Guardia de Asalto und so weiter) unterstützt wurden, die der Regierung treu geblieben waren. Es war eine Anstrengung, deren wahrscheinlich nur Menschen fähig sind, die mit einer revolutionären Absicht kämpfen, das heißt, die daran glauben, für etwas Besseres zu kämpfen als für den Status quo. Es wird angenommen, daß in den verschiedenen Zentren der Revolution an einem Tag dreitausend Menschen in den Straßen umkamen. Männer und Frauen rannten, nur mit Dynamitstäben bewaffnet, über offene Plätze und stürmten Gebäude, die von geübten Soldaten mit Maschinengewehren verteidigt wurden. Maschinengewehrnester, die die Faschisten an strategischen Stellen aufgestellt hatten, wurden zerstört, indem Taxis mit einer Geschwindigkeit von hundert Kilometern auf sie zurasten. Selbst wenn man nichts von der Landergreifung durch die Bauern gehört hatte, von der Einrichtung örtlicher Sowjets und so weiter, konnte man kaum glauben, daß die Anarchisten und Sozialisten, die das Rückgrat des Widerstandes waren, so etwas taten, um die kapitalistische Demokratie zu erhalten. Besonders nach Ansicht der Anarchisten war die Demokratie ja nichts weiter als eine zentralisierte Lügenmaschine.
Inzwischen hatten die Arbeiter Waffen in Händen und weigerten sich, sie zu diesem Zeitpunkt wieder abzugeben. (Selbst ein Jahr später wurde überschlägig festgestellt, daß die anarchistischen Syndikalisten in Katalonien dreißigtausend Gewehre besaßen.) Die Güter der großen profaschistischen Landbesitzer wurden vielerorts von den Bauern erobert. Zusammen mit der Kollektivierung der Industrie und des Transportwesens machte man den Versuch, die ersten Anfänge einer Arbeiterregierung zu bilden. Es wurden örtlich Ausschüsse eingesetzt, Arbeiterpatrouillen sollten die alte prokapitalistische Polizeimacht ersetzen, die Arbeitermiliz baute auf den Gewerkschaften auf und so weiter. Natürlich war dieser Prozeß nicht einheitlich und machte in Katalonien größere Fortschritte als anderswo. Es gab Gegenden, wo die Institutionen der örtlichen Regierungsgewalt fast unberührt blieben, und andere, wo sie Seite an Seite mit den Revolutionskomitees existierten. An einigen Orten wurden unabhängige, anarchistische Kommunen errichtet; einige bestanden ein Jahr lang, bis sie mit Gewalt durch die Zentralregierung unterdrückt wurden. In Katalonien lag die tatsächliche Gewalt während der ersten Monate in den Händen der anarchistischen Syndikalisten, die die meisten Schlüsselindustrien kontrollierten. Was sich in Spanien ereignet hatte, war tatsächlich nicht nur ein Bürgerkrieg, sondern der Beginn einer Revolution. Die antifaschistische Presse außerhalb Spaniens hat sich besonders bemüht, diese Tatsache zu verschleiern. Die Streitfrage wurde auf die Formel »Faschismus gegen Demokratie« zusammengedrängt und der revolutionäre Aspekt so gut wie möglich verborgen. In England, wo die Presse zentralisierter ist und die Öffentlichkeit leichter als sonstwo betrogen werden kann, erhielten nur zwei Versionen des spanischen Krieges irgendeine nennenswerte Publizität: die Version der Rechtsgerichteten, wonach christliche Patrioten gegen bluttriefende Bolschewisten kämpften, und die Version der Linksgerichteten, wonach republikanische Gentlemen eine militärische Revolte unterdrückten. Der Hauptstreitpunkt wurde mit Erfolg verschwiegen.
Dafür gab es verschiedene Gründe. Zunächst einmal wurden von der
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