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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Stellung hatte ungefähr die Form eines Hufeisens. Die Unterstände lagen in der Mitte, so daß wir eine zweite Brustwehr hatten, die uns auf der Linken schützte. Aus dieser Richtung kam ein heftiges Feuer, aber das machte nicht so viel aus. Der Gefahrenpunkt lag gerade vor uns, wo es überhaupt keinen Schutz gab. Ein Kugelregen flog direkt über uns hinweg. Dieser Beschuß mußte von der anderen faschistischen Stellung weiter oben an der Kampflinie kommen. Anscheinend hatten die Stoßtrupps sie doch nicht erobert. Aber jetzt war der Lärm ohrenbetäubend. Es war der ununterbrochene, trommelartige Krach massierten Gewehrfeuers, den ich sonst aus einiger Entfernung gehört hatte. Jetzt war ich zum ersten Male mitten darin. Jetzt hatte sich natürlich die Schießerei kilometerweit entlang der ganzen Front ausgebreitet. Douglas Thomson, dessen verwundeter Arm an der Seite unbrauchbar herunterhing, lehnte sich an die Brustwehr und feuerte mit einer Hand auf die Mündungsblitze. Irgend jemand, dessen Gewehr klemmte, lud für ihn. Auf dieser Seite standen vier oder fünf von uns. Es war klar, daß wir etwas tun mußten. Wir mußten die Sandsäcke von der vorderen Brustwehr wegzerren und eine Barrikade über der ungeschützten Seite aufschlagen. Und wir mußten schnell sein. Noch lag das Feuer hoch, aber jeden Augenblick konnten sie tiefer gehen. An den Mündungsblitzen um uns herum konnte ich sehen, daß uns einhundert oder zweihundert Mann gegenüberlagen. Wir begannen die Sandsäcke loszuzerren, trugen sie zwanzig Meter vorwärts und warfen sie in einem unebenen Haufen zusammen. Das war eine gemeine Arbeit. Die großen Sandsäcke wogen jeweils hundert Pfund, und man brauchte das letzte Gramm der eigenen Kraft, um sie loszuzerren. Dann platzte die verfaulte Sackleinwand und die feuchte Erde stürzte wie eine Kaskade über den Hals hinunter und in die Ärmel. Ich erinnere mich an ein Gefühl tiefer Angst vor dem Chaos, der Dunkelheit, dem entsetzlichen Lärm, dem Hin- und Herschliddern im Schlamm und dem Kampf mit den berstenden Sandsäcken. Während der ganzen Zeit behinderte mich mein Gewehr, das ich nicht abzulegen wagte aus Furcht, es zu verlieren. Als wir mit einem Sack zwischen uns dahinstolperten, schrie ich sogar jemandem zu: »Das ist Krieg! Ist er nicht saumäßig?« Plötzlich sprang eine Reihe großer Figuren über die vordere Brustwehr. Als sie näher kamen, erkannten wir die Uniform der Stoßtruppen und begrüßten sie, weil wir glaubten, sie kämen zu unserer Verstärkung. Aber sie waren nur zu viert, drei Deutsche und ein Spanier. Wir hörten hinterher, was den Stoßtruppen passiert war. Sie kannten das Gelände nicht, und man hatte sie in der Dunkelheit an die falsche Stelle geführt, wo sie sich in den faschistischen Drähten verfingen und viele von ihnen niedergeschossen wurden. Diese vier hatten sich zu ihrem eigenen Glück verirrt. Die Deutschen sprachen kein Wort englisch, französisch oder spanisch. Mit Mühe und vielen Gesten erklärten wir ihnen, was wir taten, und brachten sie dazu, uns beim Bau der Barrikade zu helfen.
    Die Faschisten hatten jetzt ein Maschinengewehr nach vorne gebracht, und man konnte sehen, wie es ein- oder zweihundert Meter weiter weg wie eine Rakete spuckte. Die Kugeln flogen mit dauerndem, hartem Krachen über uns hinweg. Es dauerte nicht lange, bis wir genug Sandsäcke zusammengeworfen hatten, um eine niedrige Brustwehr zu schaffen, hinter der sich die wenigen Leute auf dieser Seite der Stellung hinlegen und schießen konnten. Ich kniete hinter ihnen. Eine Mörsergranate zischte herüber und zerkrachte irgendwo im Niemandsland. Das war eine neue Gefahr, aber es würde sie einige Minuten in Anspruch nehmen, unsere Entfernung zu finden. Nachdem wir unseren Ringkampf mit den abscheulichen Sandsäcken beendigt hatten, war es irgendwie nicht einmal ein schlechter Spaß: der Lärm, die Dunkelheit, die näher kommenden Mündungsfeuer und die Antwort unserer eigenen Leute auf diese Blitze. Man hatte sogar etwas Zeit, um nachzudenken. Ich erinnere mich, wie ich mich fragte, ob ich Angst hätte, und mich dazu entschloß, daß ich keine habe. Vor dem Schützengraben, wo ich wahrscheinlich in geringerer Gefahr geschwebt hatte, war ich halb krank vor Furcht gewesen. Plötzlich schrie wieder jemand, die Faschisten näherten sich. Dieses Mal gab es keinen Zweifel, die Mündungsfeuer kamen viel näher. Ich sah kaum zwanzig Meter weg einen Blitz. Wahrscheinlich arbeiteten sie sich den

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