Mein Koerper und ich - Freund oder Feind
konnte, man nach Indonesien aber viele Stunden in einem engen Flugzeug sitzen muss, fragte ich weiter: » … und wie kommen Sie da hin?«, was ihn vollends von meiner mangelhaften Intelligenz überzeugte. »Mit dem Flieger, wie denn sonst?« Ich klärte ihn über den Grund meiner Frage auf, worauf er – ein wenig nachdenklich – sagte: »Sobald sie im Flieger sitzt, geht es ihr gut – heimwärts geht’s wieder schlecht, es ist halt auch weit.« Seine Frau hatte zu allem zustimmend genickt.
Nun denkt man bei Reisen ins ferne Asien gern an die schönen Landschaften und das gute Essen – aber selbst denken ist dem Therapeuten in dieser Phase des Erkenntnis-Interesses nicht erlaubt. Vielmehr muss er die Frage stellen, was wohl der Unterschied zwischen hier und dort sein könnte, da der Körper da offenbar einen wichtigen Unterschied wahrnimmt: »Was ist denn in Indonesien so schön?« Darauf beide, wie aus einem Mund: »Na, die Menschen! Die sind so freundlich und so rücksichtsvoll!«
Hier, bei ihr zu Hause, nicht. Es stellte sich nämlich heraus, dass nah bei ihnen, direkt um die Ecke, ihre Mutter wohnt – auch schon ein Stück über 90, aber bei bester Gesundheit. Ist ja auch bestens versorgt von ihrer Ältesten, die jeden Tag hingeht, wenn die Mama mit ihren Freundinnen im Café oder im Park sitzt. Die Tochter putzt dann, kauft ein, kocht, wäscht und bügelt. Die anderen drei Schwestern haben rechtzeitig das Weite gesucht und kommen selten herbei, schon gar nicht zum Helfen. Auf meine Frage, ob die Mutter inzwischen mal gemerkt habe, wie schlecht es ihr gehe, sagte die gute Tochter: »Die weiß, glaub ich, gar nicht, dass ich Krebs habe, die hört doch nicht zu. Wenn ich an dem Krebs gestorben wäre, hätte sie höchstens gesagt: Wer putzt mir denn jetzt die Fenster?«
Das ist eine ziemlich schreckliche Geschichte – aber: so was gibt’s. Nun könnte man auf die Idee kommen, dieser Frau zu empfehlen, sich lieber einmal mehr um sich selbst und ihren netten Mann zu kümmern – dafür hat sie aber keine Zeit, und in dem kleinen katholischen Dorf, in dem sie wohnen, würde die daraus folgende Vernachlässigung der Mutter auch übel vermerkt werden, was sie fürchtet. Das schlechte Gewissen ist oft schwerer zu ertragen als so manches andere Übel.
Auch dass sie beide, wie ihr Mann richtig bemerkt, viel früher hätten wegziehen sollen, macht traurig, ist aber nicht mehr zu ändern. Auf die Frage, ob demnächst vielleicht doch mit dem Ableben der doch schon ziemlich alten Dame zu rechnen sei, lachten beide laut auf, und die Tochter sagte: »So wie’s aussieht, überlebt die uns beide.« Das steht zu vermuten.
Was aber festzuhalten bleibt: Wenn sich die Patientin in der Umgebung freundlicher und rücksichtsvoller Menschen aufhielte, die nichts von ihre verlangten, und dann auch noch einen ausreichenden Abstand zwischen sich und der Rücksichtslosigkeit und Undankbarkeit ihrer Mutter herstellen könnte, wäre ihr, zumindest vorübergehend, geholfen. Dafür muss sie aber das »Indonesiengefühl« in sich wieder spüren – indem sie es in ihre sinnliche Erinnerung zurückruft, damit sie abchecken kann, wo es sich vielleicht auch hier bei uns irgendwo finden ließe. Sie entschied sich, in den Kirchenchor zu gehen. Dort hatte sie sich früher geborgen und wohlgelitten gefühlt – damit wollte sie anfangen. Dieses Wohlgefühl sollte als Erstes auf die andere Waagschale gelegt werden.
Immer wenn wir die Frage stellen: »Was fehlt mir?«, so stellt sich heraus, dass es das Gegenstück zu dem ist, was im Übermaß vorhanden ist, sei es nun etwas Gutes oder etwas Schlechtes – es ist nicht nötig, das zu unterscheiden.
Alles Lebendige hat eine Schwingung, einen Eigenrhythmus, seinen eigenen Zyklus. Denken wir an den wiederkehrenden Wechsel der Jahreszeiten, an den Mondzyklus, an Tag und Nacht, Ebbe und Flut, Kommen und Gehen, Leben und Tod.
Solchen schwingenden Zyklen ist auch der menschliche Organismus in vielfältiger Weise unterworfen. Nur dann, wenn die eigenen Rhythmen einigermaßen geordnet sind, kann der Körper ungestört funktionieren: einatmen und ausatmen, wachen und schlafen, essen und verdauen, arbeiten und ruhen, mit anderen und allein sein – all das kennen wir und achten doch nicht sorgfältig genug darauf, ob es in einem ausgewogenen Wechsel stattfindet. Wenn Sie noch einmal auf den letzten Satz zurückschauen, fällt Ihnen vielleicht auf, dass es sich dabei immer auch um einen Wechsel von
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