Mein Leben
sich dafür interessieren werden.
Meine hochgespannten Erwartungen in Bezug auf Shanghai wurden bitter enttäuscht. Als wir durch den Smog über die blinkenden Lichter auf den Spitzen der bizarren Wolkenkratzer flogen und zur Landung ansetzten, glaubte ich in die Realität gewordene Kulisse von Blade Runner versetzt worden zu sein und wurde plötzlich sehr nervös. Und dieses Gefühl verließ mich auch in den nächsten Tagen nicht. Alles nervte mich, die gereizten Blicke des Einwanderungsbeamten ebenso wie die Tatsache, dass ich auf der Straße ständig irgendwelchen Händlern ausweichen musste, die mir Raubkopien von DVDs oder gefälschte Mont-Blanc-Füller andrehen wollten. Hiroshi mailte mir Tipps und Adressen von »Underground«-Läden, und dank seiner Hinweise habe ich hier einige interessante Leute kennengelernt. Tommy Chung zum Beispiel, der als Einziger in Shanghai Visvim verkauft, meine Lieblingsschuhe, und dem ich für seine wunderbare Gastfreundschaft danke. Im Großen und Ganzen aber war ich froh, als wir wieder abreisten.
Neuseeland und Australien waren eine große Überraschung. Ich fühlte mich dort sehr wohl, und alle meine Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. Wieder einmal zeigte sich, dass mein Eindruck von Menschen, Orten und Dingen ganz und gar von meiner jeweiligen Einstellung und psychischen Verfassung abhängen. Die Begegnung mit Ian »Beefy« Botham in Melbourne war ein gutes Beispiel dafür. 1987 hatte ich das letzte halbe Jahr meiner Trunksucht mit ihm verbracht, und der Gedanke an ihn machte mich immer ein bisschen nervös. Wir hatten uns seither ein paarmal getroffen, und alles war gut, aber dass er immer noch trank, hatte unsere Freundschaft irgendwie getrübt. Diesmal war es anders. Wir verstanden uns großartig, vielleicht weil ich ein wenig erwachsener geworden bin und weiß, dass sein Trinken mich nichts angeht und ich den Burschen wirklich sehr gern habe. Wir haben viel gemeinsam, er hat ein Herz aus Gold, und vor allem können wir miteinander lachen. Ich freue mich jetzt schon sehr darauf, ihn wiederzusehen.
In Australien war Sommer, und während ich braun wurde und mich pudelwohl fühlte, herrschte in Ohio tiefer Winter mit viel Schnee. Eigentlich hatten wir vorgehabt, uns in der nächsten Tourpause auf Hawaii zu treffen, wo Melia geboren worden war, es uns dann aber anders überlegt, denn die Anreise wäre so kompliziert gewesen, dass wir uns in der verbleibenden Zeit kaum vom Jetlag hätten erholen können. Also flog ich für zehn Tage nach Columbus. Die vierundzwanzigstündige Reise brachte mich aus sonnigen dreißig in einen Schneesturm bei minus zwanzig Grad. Tatsächlich schaffte ich es bei diesem scheußlichen Wetter nur mit Ach und Krach, überhaupt in Columbus anzukommen. Als wir auf der Landebahn ausrollten, sah ich, wie die Tragflächen eines anderen Flugzeugs auf der Startbahn gerade enteist wurden, und sprach ein stilles Gebet. Und ich schwor mir wieder einmal, mit dem vielen Reisen aufzuhören.
Ich wurde praktisch auf der Stelle krank – kein Wunder bei dem drastischen Klimawechsel. Es war mein erster Winter in Ohio, und dass es so schlimm käme, damit hatte ich nicht gerechnet. Hinzu kam, dass ich eine regelrechte Phobie vor Elektroheizungen habe, Zentralheizung ist mir viel lieber. Jedenfalls fühlte ich mich ziemlich unwohl und verletzlich. Von all dem abgesehen war es wunderschön, wieder ein wenig Zeit mit den Mädchen zu verbringen, auch wenn wir wegen der Kälte fast die ganze Zeit im Haus bleiben mussten. Auch sie freuten sich sehr, mich zu sehen, und kabbelten sich ständig darum, wer von ihnen beim Essen neben mir sitzen durfte. Das Familienleben hatte mir sehr gefehlt. Monatelang auf Tournee, ohne jede direkte Zuwendung eines liebenden Menschen, das wirkte sich sehr nachteilig auf meine Psyche aus, und ich verkroch mich oft in meinem Zimmer. Und der Kontrast zwischen dem leeren Hotelzimmer und der tobenden Menge im Konzertsaal ist emotional auch nicht so leicht zu verkraften, nun, das konnte vorläufig warten, denn jetzt war ich erst einmal wieder bei meiner Familie und in Sicherheit.
In Dallas sollte die Tour weitergehen, und ich war ganz begeistert von der Vorstellung, dass wir nun die allerletzte Etappe vor uns hatten – nur noch ein Monat, dann war es vorbei. Nicht dass die Tournee ein Trauerspiel gewesen wäre, im Gegenteil, sie war in jeder Hinsicht ein ungeheurer Erfolg. Die Musik und die Kameradschaft hatten mir sehr gutgetan, aber
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