Mein Leben
beobachten und zu hoffen, dass ein Sportwagen vorbeikam. Alle halbe Jahre sahen wir tatsächlich einen Aston Martin oder Ferrari, was jedes Mal ein echter Festtag war. Wir waren auf der Suche nach Abenteuer, und nichts war so spannend wie das Verbotene ... innerhalb vernünftiger Grenzen. So stahlen wir etwa auf dem Dunsborough-Anwesen Äpfel, was in puncto Nervenkitzel schon sehr aufregend war, weil das Anwesen dem Filmstar Florence Desmond gehörte. Manchmal sahen wir ihre berühmten Freunde über den Rasen schlendern. Ich habe dort sogar einmal ein Autogramm von Tyrone Power ergattert. Allerdings war die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, ebenfalls ziemlich hoch, weil normalerweise Wildhüter auf dem Gelände herumliefen.
Oder wir fuhren zum Klauen nach Cobham oder Woking, wobei wir meistens so alberne Sachen wie Krawatten oder Taschentücher mitgehen ließen. Manchmal ließen wir uns auch zu purem Vandalismus hinreißen. So stiegen wir zum Beispiel in einen Zug aus Guildford, der auch an den kleinen Bahnhöfen hielt, und suchten ein leeres Abteil – die Nahverkehrszüge hatten damals keine Großraumwagen –, das wir dann zwischen zwei Bahnhöfen völlig verwüsteten. Wir zertrümmerten sämtliche Spiegel, rissen die Karten von den Wänden, schnitten mit unseren Taschenmessern die Gepäcknetze ab, schlitzten die Polster auf und stiegen dann am nächsten Bahnhof johlend und lachend wieder aus. Wir wussten genau, dass es nicht richtig war, konnten es aber trotzdem tun und ungeschoren davonkommen, und das verschaffte uns einen riesigen Adrenalinkick. Wenn man uns erwischt hätte, wären wir natürlich nach Borstal geschickt worden, aber wie durch ein Wunder blieben wir immer unentdeckt.
Rauchen war in jenen Tagen ebenfalls ein wichtiges Initiationsritual, und manchmal schafften wir es irgendwie, Zigaretten zu besorgen. Ich weiß noch, dass ich mit zwölf einmal ein paar Du Mauriers ergattert hatte, deren Verpackung mich besonders faszinierte. Die dunkelrote aufklappbare Schachtel mit dem silbernen Zickzackmuster wirkte sehr elegant und erwachsen. Rose hatte mich entweder beim Rauchen gesehen oder die Schachtel in meiner Tasche entdeckt, jedenfalls nahm sie mich beiseite und sagte: »Okay, wenn du rauchen willst, dann lass uns zusammen eine Zigarette rauchen. Dann sehen wir, ob du wirklich rauchen kannst.« Sie zündete eine Du Maurier an, ich steckte sie in den Mund und paffte daran. »Nein, nein, nein!«, sagte sie. »Du musst inhalieren! Das ist doch kein Rauchen!« Ich wusste nicht, was sie meinte, bis sie sagte: »Du musst den Rauch einatmen! Atme tief ein.« Das versuchte ich, worauf mir natürlich speiübel wurde, und erst mit einundzwanzig habe ich wieder eine Zigarette geraucht.
Das Einzige, was ich nicht mochte, waren die Prügeleien, die ebenfalls eine beliebte Freizeitbeschäftigung vieler Jugendlicher waren. Die beiden Familien, denen man in Ripley tunlichst aus dem Weg ging, waren die Masters und die Hills, die beide extrem hart im Nehmen waren. Die Masters waren meine Cousins, die Kinder meiner Tante Nell, eine schon deshalb denkwürdige Frau, weil sie am Tourette-Syndrom litt, obwohl man sie damals schlicht für ein bisschen exzentrisch hielt. Beim Reden streute sie immer die Wörter »fuck« und »Eddie« ein. Wenn sie zu Besuch kam, sagte sie etwa: »Hallo, Ric, fuck Eddie. Ist deine Mum zu Hause, fuck Eddie?« Ich war absolut fasziniert von ihr. Ihr Mann Charlie war doppelt so groß wie sie und mit Tätowierungen übersät, und gemeinsam hatten sie vierzehn Söhne, die Masters-Brüder, die immer eine Gefahr darstellten und meistens irgendwelchen Ärger am Hals hatten. Die Hills waren ebenfalls nur Brüder, ungefähr zehn, und in meinen Augen die Dorfschurken schlechthin. Sie waren meine Nemesis. Ich lebte in ständiger Angst, von ihnen verprügelt zu werden, und jedes Mal, wenn sie mich aufs Korn nahmen, erzählte ich meinen Cousins davon, in der Hoffnung, ich würde einen Rachefeldzug der Masters gegen die Hills provozieren. In der Regel versuchte ich jedoch einfach, sie alle miteinander zu meiden.
Schon von Anfang an spielte Musik eine große Rolle in meinem Leben, weil sie in den Tagen, bevor es das Fernsehen gab, ein wichtiger Bestandteil des gemeinschaftlichen Lebens war. Samstagabends versammelten sich die meisten Erwachsenen im British Legion Club, tranken, rauchten und lauschten Alleinunterhaltern aus der Gegend wie Sid Perrin, einem großartigen Kneipensänger, der mit so
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