Mein Leben
Im Sommer ging es meist an die Ufer des Wey gleich außerhalb des Dorfes, wo sich alle, auch die Erwachsenen, tummelten. Besonders attraktiv war ein Wehr, auf dessen einer Seite das Wasser so tief war, dass wir dort nicht schwimmen durften, weil im Laufe der Jahre schon mehrere Kinder darin ertrunken waren. Aber auf der anderen Seite ergoss sich der Fluss in einer Art kleinem Wasserfall in einen seichteren Abschnitt mit schmalen Felsbänken und Becken zu beiden Seiten, in denen man ohne Gefahr schwimmen und im Schlamm spielen konnte. Jenseits davon wurde der Fluss wieder breiter und tiefer, ein gutes Angelgewässer, in dem ich Angeln lernte.
Rose kaufte mir eine Angelrute aus einem Katalog. Es war eine billige, ziemlich primitive, grün lackierte Bambusrute mit Korkgriff und einer festen Spule, aber ich liebte sie vom ersten Tag an. Es war der Beginn meines Lebens als Ausrüstungs-Junkie. Ich war schon begeistert, wenn ich das Ding bloß anguckte, und wahrscheinlich habe ich genauso viel damit herumgespielt, wie ich damit geangelt habe. Meistens benutzten wir Brot als Köder, und weil wir in der Nähe der richtigen Angler fischten, mussten wir peinlich darauf achten, ihnen nicht in die Quere zu kommen. Der beste Fang, auf den wir hoffen konnten, war normalerweise ein Gründling, aber eines denkwürdigen Tages fing ich eine ziemlich große Plötze, die bestimmt etliche Pfund gewogen hat. Ein Fischer, der am Ufer entlangkam, ein echter Angel-Crack, blieb stehen und meinte: »Das ist aber ein ordentlicher Brocken, den du da hast.« Ich schwebte auf Wolke sieben.
Wenn wir nicht am Fluss waren, fuhren wir zu den »Fuzzies«. So hieß das Wäldchen hinter der Dorfwiese, wo wir ausgiebig Cowboy und Indianer oder Deutsche und Engländer spielten. Wir stellten unsere eigene Version der Schlacht an der Somme nach und hoben Schützengräben aus, die tief genug waren, dass wir darin stehen und schießen konnten. Einige Teile des Waldes waren so mit Stechginster überwuchert, dass man sich leicht darin verirren konnte, und wir nannten dieses Gebiet »die verbotene Stadt« oder »die verlorene Welt«. Als ich noch kleiner war, traute ich mich nie ohne einen älteren Jungen oder eine Bande in die verlorene Welt, weil ich wirklich glaubte, nie wieder hinauszufinden. Dort bin ich auch zum ersten Mal einer Schlange begegnet. Ich war gerade in ein Spiel vertieft, als ich ein Zischen hörte. Ich stand mit leicht gespreizten Beinen da, blickte zu Boden und sah eine knapp ein Meter lange Natter zwischen meinen Füßen herumkriechen. Ich erstarrte. Ich hatte zwar noch nie eine Schlange gesehen, aber Rose hatte schreckliche Angst vor ihnen, die sie an mich weitergegeben hatte. Das Viech jagte mir jedenfalls einen Höllenschreck ein, und ich hatte noch eine Ewigkeit lang Albträume deswegen.
Als ich ungefähr zehn oder elf war, spielten wir in den Fuzzies manchmal »Kussjagd«, das einzige Spiel, bei dem Mädchen mitmachen durften. Sie versteckten sich, wir mussten sie suchen, und wenn wir sie fanden, gab es als Preis einen Kuss. Manchmal spielten wir auch eine verschärfte Version, bei der die entdeckten Mädchen sich die Unterhosen herunterziehen mussten. Aber alles in allem machten die Mädchen aus dem Dorf uns eher Angst. Sie wirkten distanziert und sehr mächtig und zeigten ohnehin wenig Interesse an uns, weil ihre Aufmerksamkeit den cooleren Typen wie Eric Beesley vorbehalten war, der immer für Aufsehen sorgte und als Erster in Ripley einen Bürstenschnitt trug. Nach meinen Erfahrungen mit dem Pornoheft war ich ohnehin davon überzeugt, dass jeder Annäherungsversuch an ein Mädchen irgendeine Strafe nach sich ziehen würde, und ich hatte keine Lust, dauernd verprügelt zu werden.
Samstagvormittags fuhren viele von uns nach Guildford zum ABC Minors Club im dortigen Kino, eine echte Attraktion. Wir sahen Serien wie Batman, Flash Gordon und Hopalong Cassidy , die immer an der spannendsten Stelle endeten, außerdem Komiker wie Die 3 Stooges und Charlie Chaplin. Es gab jedes Mal einen Conferencier und Wettbewerbe, bei denen wir auf die Bühne kommen, singen oder Leute imitieren sollten, was ich jedoch immer peinlich gemieden habe. Trotzdem waren wir keine Engel. Sobald das Licht ausging, packten wir unsere selbst gebastelten Schleudern aus und schossen mit Kastanien auf die Leinwand.
Die typische Abendunterhaltung für die Jugend von Ripley bestand Anfang der 1950er Jahre darin, an der Bushaltestelle herumzulungern, den Verkehr zu
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