Mein Leben
fungierte. Außerdem gab es noch einen Hufschmied, bei dem alle Bauern aus der Gegend ihre Pferde beschlagen ließen.
Jedes Dorf hatte überdies einen Süßwarenladen; unserer wurde von zwei altmodischen Schwestern geführt, den Miss Farrs. Beim Betreten des Geschäfts läutete ein kleines Glöckchen, und es brauchte jedes Mal so lange, bis eine der beiden Schwestern aus einem Hinterzimmer in den Laden kam, dass wir uns die Taschen mit Süßigkeiten vollstopfen konnten, bevor eine Bewegung des Vorhangs ihr Erscheinen ankündigte. Ich kaufte mit dem Bezugscheinheft unserer Familie zwei Sherbert Dabs oder ein paar Flying Saucers und marschierte mit den Taschen voller Horlicks oder Ovaltine-Tabletten wieder heraus, die zu meiner ersten Sucht geworden waren.
Obwohl Ripley alles in allem ein Ort war, in dem man eine glückliche Kindheit verbringen konnte, wurde mein Leben von dem Wissen um meine Herkunft überschattet, und ich begann, mich immer mehr zurückzuziehen. Offenbar hatte es in meiner Familie ein paar endgültige Entscheidungen über den Umgang mit der Situation gegeben, in die ich nicht eingeweiht worden war. Ich hielt mich an den Geheimhaltungskodex – »Wir reden nicht darüber, was war« –, und der Geist Disziplin fordernder Autorität, der zu Hause herrschte, hielt mich davon ab, Fragen zu stellen. Rückblickend fällt mir auf, dass die Familie im Grunde keine Ahnung hatte, wie sie mir meine Existenz erklären sollte. Und sie war sich wegen der damit verbundenen Schuldgefühle der eigenen Unzulänglichkeiten nur zu bewusst, was die Wut und die Verlegenheit erklären könnte, die meine Gegenwart bei fast allen provozierte. Deshalb hielt ich mich meist an unseren Hund, einen schwarzen Labrador namens Prince, und erfand eine »Johnny Malingo« genannte Kunstfigur, in deren Identität ich schlüpfen konnte. Johnny war ein weltgewandter Draufgänger, der rücksichtslos jeden überrannte, der ihm in die Quere kam. Wenn mir alles zu viel wurde, flüchtete ich mich zu Johnny und blieb dort, bis der Sturm sich gelegt hatte. Ich erfand mir auch einen Fantasie-Freund namens »Bushbranch«, ein kleines Pferd, das mir überallhin folgte. Manchmal verwandelte Johnny sich auf wundersame Art und Weise in einen Cowboy, bestieg Bushbranch, und die beiden ritten zusammen in den Sonnenuntergang. Etwa zur gleichen Zeit fing ich an, geradezu zwanghaft zu malen. Meine erste Faszination galt Pasteten. Auf die Dorfwiese kam regelmäßig ein Mann mit einem Verkaufskarren für heiße Pasteten. Ich habe Pasteten immer geliebt – Rose war eine ausgezeichnete Köchin – und Hunderte von ihnen gemalt, neben Porträts des Pastetenverkäufers. Danach fing ich an, aus Comicheften abzumalen.
Weil ich ein uneheliches Kind war, neigten Rose und Jack dazu, mich zu verwöhnen. Jack machte mir mein eigenes Spielzeug. Ich kann mich an ein wunderschönes Schwert mit Schild erinnern, das er für mich geschnitzt hatte. Alle anderen Kinder haben mich darum beneidet. Rose kaufte mir sämtliche Comics, die ich haben wollte. Mir kam es vor, als bekäme ich jeden Tag einen anderen, jede Ausgabe von Topper , The Dandy , The Eagle und Beano . Die Bash Street Kids mochte ich ganz besonders, und mir fiel jedes Mal auf, wenn der Zeichner wechselte und Lord Snootys Zylinder irgendwie anders aussah. Aus diesen Comics kopierte ich im Laufe der Jahre zahllose Zeichnungen – Cowboys und Indianer, Römer, Gladiatoren, Ritter in Rüstung. Phasenweise beteiligte ich mich in der Schule überhaupt nicht mehr am Unterricht, und es war durchaus normal, dass alle meine Hefte ausschließlich voll mit Zeichnungen waren.
Eingeschult wurde ich mit fünf in die Ripley Church of England Primary School, die in einem grauschwarzen Gebäude neben der Dorfkirche untergebracht war. Gegenüber lag das Gemeindehaus, wohin ich sonntags zum Kindergottesdienst ging und wo ich viele der wunderschönen alten englischen Kirchenlieder zum ersten Mal hörte. Am liebsten mochte ich »Jesus Bids Us Shine«. Anfangs ging ich recht gerne zur Schule, zumal die meisten Nachbarskinder zur gleichen Zeit eingeschult worden waren. Aber als mir im Laufe der nächsten Monate klar wurde, dass das Leben auf längere Sicht so bleiben sollte, geriet ich in Panik. Die Unsicherheit, die ich zu Hause empfand, führte dazu, dass ich die Schule hasste. Ich wollte möglichst anonym bleiben, weshalb ich mich aus jeder Art Wettbewerb raushielt. Ich hasste alles, was mich aus der Masse heraushob und mir
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