Mein Leben als Androidin
grenzten oder einfach nur lächerlich waren, also blieb der Erfolg weit hinter unseren gemeinsamen Erwartungen zurück. Die Leute hielten die Nachricht für nicht mehr als eine besonders rüde Form von politischer Satire. Sie schüttelten die Köpfe über die vergleichenden Holoporträts, die die unerklärliche Ähnlichkeit der First Lady mit ›Molly‹, Stanford Lockes entlaufenem Dienstmädchen, aufzeigen sollten, spulten weiter und kicherten über das hagere Gesicht des Anklägers, der den Betrachter zugleich mitleidheischend und finster anstarrte und sagte: »Ich war einst ein Humanist, aber jetzt bin ich es nicht mehr. Blaine Fracass ist ein Heuchler und ein Dieb!« Und noch weiter unten auf der Spule: »Ich fordere Lady Fracass heraus, sich einem Psychotest zu unterziehen. Wenn das Ergebnis beweist, daß ich mich irre, fresse ich diese Spule.«
Unverdrossen verschaffte der nimmermüde Andro der Nachricht größeres Gewicht, indem er Blaine riet, durch seinen Pressesprecher ein förmliches Dementi verkünden zu lassen, worin der kriminelle Hintergrund des Anklägers publik gemacht wurde, der Erpressungsversuch und seine interessante Verbindung zu dem aquarischen Entführer. Daraufhin wurde die Geschichte von den seriösen marsianischen Presseorganen aufgegriffen, wie Andro es beabsichtigt hatte. Unsere Hoffnung stieg, doch – wenig überraschend – schenkten die Medien der Räuberpistole ebensowenig Glauben wie der Sprecher des Präsidenten. Unsere Frustration stieg ins Unermeßliche. Schlimmer noch, als der Unruhestifter untertauchte – offenbar aus Angst um sein Leben – , betrachtete die Öffentlichkeit die Affäre als den Versuch eines verzweifelten Vaters, seinen Sohn vor dem Galgen zu retten, erst durch Erpressung, dann mittels Verleumdung – ein trauriges und erbärmliches Spektakel, das man am besten so schnell wie möglich vergaß. Inzwischen – wovon die Öffentlichkeit natürlich nichts ahnte – hatte Blaine tatsächlich seiner Leibgarde Befehl gegeben, den Schurken aufzuspüren und aus dem Weg zu räumen, also war es durchaus vernünftig von ihm gewesen, in den Untergrund zu gehen.
Als wäre das nicht Belastung genug gewesen für meine strapazierten Nerven, war ich in Blaines Arbeitszimmer anwesend (in der Rolle der First Lady), als General Harpi hereinkam, um ihn zu der entschlossenen Art und Weise zu beglückwünschen, in der er die Enthüllung potentiell verhängnisvoller Tatsachen verhindert hatte. Der hinzutretende Kommandant der AÜ fand nicht weniger schmeichelhafte Worte und bemerkte, es sei ein besonderes raffinierter Schachzug, den Staatskörper gegen die Wahrheit zu impfen, indem man sie in kleinen, kontrollierten Dosen verabreichte. Blaine konnte nicht widerstehen, sich ganz privatim als den Urheber der Kampagne zu erkennen zu geben. Man hätte glauben können, Locke d. Ä. sei seine eigene Erfindung, ausschließlich entworfen, um einer etwaigen glaubwürdigen Enthüllung der Wahrheit dadurch zuvorzukommen, daß er sie im vorhinein diskreditierte. »Die werden nie schlau, stimmt's?« meinte General Harpi dazu, und Andro lächelte und blinzelte ihm wissend zu, während er mit seinen P9-Zähnen knirschte, daß die P9-Kiefer knackten.
»Ich fange an zu glauben, daß deine Formate den meinen konträr laufen«, bemerkte er düster zu seiner Frohmat-Partnerin, als sich endlich wieder eine Gelegenheit geboten hatte, sie in sein Zimmer zu schmuggeln. Sie leugnete zwar, aber ich war der Meinung, daß er nicht ganz unrecht hatte. Ihr Mangel an Begeisterung war ein Hindernis für unser Vorhaben. Natürlich trug sie nicht allein die Schuld, doch damals fand ich, daß sie mehr als ihren gerechten Anteil zu den Fehlschlägen beigetragen hatte. Wie sehr ich mir wünschte, die Schranken des Internen Zensors durchbrechen zu können! Andro bedurfte dringend meines ungehinderten Beistands, besonders wenn es darum ging, neue Krisen zu entwerfen, um Blaines Machtposition zu untergraben. Das Denken fiel ihm nicht mehr so leicht wie früher: Sein politisches Strategieprogramm war in den Katakomben gelöscht worden, deshalb rasten keine Optionen mehr mit Lichtgeschwindigkeit durch sein Gehirn, wurden analysiert und gegeneinander abgewogen, bis die politisch günstigste gefunden war; jetzt mußte er sich den Kopf zerbrechen wie wir alle. Das Handicap, könnte man sagen, war der Preis der Freiheit. Dementsprechend fiel das Ergebnis seiner Gedankenarbeit ziemlich mager aus, eine traurige Parodie seiner
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