Mein Leben als Androidin
Galerie. Ich konnte mir nicht vorstellen, was ich getan haben sollte, um dem Himmel die ihm gebührende Aufmerksamkeit zu stehlen.
Meine Ahnungslosigkeit erstreckte sich auch auf das Individuum, das dem Gericht als mein Besitzer vorgestellt worden war, ein gewisser Stanford Locke. Die schweigsame und düstere Gestalt saß am Tisch der Verteidigung, ein Stück schräg links von mir, so daß ich ihn, wenn ich gewollt hätte, mit der ausgestreckten Hand berühren konnte, doch etwas in seiner Haltung hielt mich davon ab. Neben ihm saß Dahlia, die ich gleichfalls nicht wiedererkannte, und auf einer Empore unmittelbar hinter ihnen hatten die beratenden Prozeßbeobachter Platz genommen, die Gebieter Levin und Pierce, die sich von Zeit zu Zeit vorbeugten, um in erregtem Flüsterton auf ihre Juristeneinheit und den Angeklagten einzureden. Wenn nicht anderweitig in Anspruch genommen, neigte mein Gebieter dazu, rasche und nervöse Blicke in meine Richtung zu werfen, was in mir den Eindruck erweckte, daß meine Gegenwart ihm Unbehagen verursachte. Ich fragte mich, warum. Das einzige, was ich von ihm wußte, stammte aus dem Eröffnungsplädoyer des Anklagevertreters, in dem erklärt worden war, er (Locke) trüge die Verantwortung für etwas Schreckliches, das ich auf dem Mars getan hatte. Das von Dahlia vorgebrachte Gegenargument lautete dahingehend, daß ich für das Attentat auf Präsident Fracass zur Verantwortung gezogen und vor Gericht gestellt werden sollte.
Präsident Fracass? Attentat? Ich hatte keine Ahnung, wovon sie beide sprachen; die gesamte Zeit auf dem Mars(?) war ausgelöscht wie auch meine übrige Vergangenheit. Kein Wunder, daß Dahlias Behauptung, ich sei jedem Menschen ebenbürtig und hätte das Recht auf einen Prozeß, mich verstörte und ängstigte. Von meinem Platz aus erschien mir ein Wechsel zum Tisch der Verteidigung keineswegs vorteilhaft, danach zu urteilen, wieviel Schweiß der jetzige Inhaber des angeblichen Ehrenplatzes während der Verhandlung vergoß. Vielmehr war ich's zufrieden, in meiner Rolle als Beweisstück der Verhandlung zu folgen oder aus dem Fenster zu schauen. Abgesehen von der kratzigen, anstaltsgrauen, aus Rock und Hose bestehenden Kleidung, mit der man mich ausstaffiert hatte, bestand die einzige wirkliche Unannehmlichkeit, die mir während des Prozesses zugemutet wurde, darin, jedesmal aufzustehen und vor dem Zeugenstand oder dem Richtertisch auf- und abzupromenieren, wenn auf mich als das fragliche Beweisstück Bezug genommen wurde, damit jeder sich durch Augenschein von meiner Identität überzeugen konnte. Beim ersten Aufruf (von Seiten des Anklägers) wurde ich vom Gerichtsdiener (einem Sears) markiert und offiziell als Beweisstück Eins zu den Akten genommen, eine Bezeichnung, die für mich ebensowenig Bedeutung hatte wie die anderen Pseudonyme: P9HD20-XL17-504, Molly, Francesca, Maria Theresa, Candy, Angelika, Candida Dolly und Lady Fracass.
Nun, trotz meiner Faszination für den Sternenhimmel hinter den Fenstern haben sich mir die unablässigen Duelle zwischen Verteidigung und Anklage deutlich genug eingeprägt, um sie hier wiedergeben zu können, denn wenn Sie nicht als einer der Zuschauer auf der Galerie saßen, ist Ihnen das meiste von diesen erbitterten Wortgefechten entgangen, da die Presse sich entschlossen hatte, ihre Aufmerksamkeit auf meinen Mangel an Gemütsbewegung während der Verhandlung zu konzentrieren; sie interpretierten mein scheinbares Desinteresse als Anmaßung und Arroganz. Davon, daß man mir das halbe Gehirn gestohlen hatte, erwähnten sie nichts. Und der Grund, weshalb ich so keck lächelte, mit – wie drückten sie es aus? – »unverfrorener Gleichgültigkeit gegenüber ihrem Verbrechen und der Schwere der Anklage«, bestand schlicht darin, daß ich eine gewisse Zuneigung für den Anklagevertreter entwickelt hatte: Jug. Bevor ich diese Sympathie begründe, hier ein Wort über die klagende Partei.
Offizieller Kläger war die provisorische Militärregierung in Frontera. Sie lastete meinem Gebieter den Mord an Blaine Fracass an und verlangte Entschädigungen in Billionenhöhe für die Zerstörungen und die Verluste an Menschenleben in den Unruhen nach dem Attentat (wofür die Herren Militärs eigentlich selbst verantwortlich waren, aber wie sollte man ihnen das sagen?). Sie hatten versucht, United Systems und deren Tochterfirma Pirouet die Rechnung zu präsentieren, aber die hatten sich ihren Haftungsausschluß bereits Jahre zuvor in den
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