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Mein Leben als Androidin

Mein Leben als Androidin

Titel: Mein Leben als Androidin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fine
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und ihrer Eltern vor, obwohl letztere aus beruflichen Gründen unter der Woche nur selten zu Hause waren, und den größten Teil des Wochenendes verbrachten sie auf Parties oder mit der Jagd nach immer weiteren, prestigeträchtigen Besitztümern. Die Sonntagvormittage allerdings waren für Ausflüge mit dem Hydromobil auf dem Lake Catastrophe reserviert oder für eine Promenade mit dem Babyschlitten durch die Nachbarschaft, bei welcher Gelegenheit die kleine Allison-Belle mit all der Aufmerksamkeit überschüttet wurde, die sie den Rest der Woche entbehren mußte. Sie wurde geküßt, umarmt und gehätschelt, während ich mich in einigen Schritten Abstand bereithielt, sofort einzugreifen, sollte eine Windel gewechselt oder ein Aufbaupräparat verabreicht werden müssen. Sobald die Kleine anfing, unruhig zu werden oder zu weinen, wurde sie meiner fachkundigen Obhut übergeben. Man fragte mich sogar um Rat, als es darum ging, eventuell zu einem stärkeren Lernfixpräparat zu wechseln, denn das Kind (elf Monate) hatte Schwierigkeiten mit Basic und den Computergrundkenntnissen. Die Eltern befürchteten, ihre Tochter könnte hinter den Altersgenossen zurückbleiben. Selbstverständlich stimmte ich zu, daß es angebracht sei, das Präparat zu wechseln, da ihnen offenbar sehr daran gelegen war und sie nur hören wollten, daß sie das Kind nicht etwa überforderten – was natürlich der Fall war. Mir kam es darauf an, die Erwartungen meiner Gebieter nicht zu enttäuschen, denn ich genoß meine neue Situation viel zu sehr. Sehen Sie, Allison-Belle war der erste Mensch, der mir uneingeschränkte Liebe und Zuneigung entgegenbrachte. Wahrhaftig, es war schwer zu glauben, daß sie derselben Spezies angehörte! Meine Gefühle für sie überstiegen bei weitem die mir einprogrammierten Standards. Ich betete sie an. Sie berührte etwas Wesentliches in mir und stimulierte dadurch die Erinnerungen, Gedanken und Gefühle, die ursprünglich durch den jungen Herrn Tad während unserer Nacht auf dem Wohnzimmerteppich ausgelöst worden waren. Dank dieses kleinen Engels öffnete sich mein Herz, und mein Eigenbewußtsein blühte in solchem Maße auf, daß ich innerhalb von ein, zwei Wochen denselben Grad von kritischem Denken und Sensibilität erreichte, den ich am Tag meines ersten Erwachens besessen hatte. Ich war glücklich, weil ich nun alle Auswirkungen der Kur überwunden hatte, gleichzeitig sah ich mich zu besonderer Vorsicht gezwungen, damit die Eltern nichts von meinem Zustand merkten. Meine Bindung an das Kind war derart, daß ich mich insgeheim als die wirkliche Mutter betrachtete. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn meine gnädige Frau sich mit der Kleinen beschäftigte, mußte ich an mich halten, sie ihr nicht aus den Armen zu reißen. Auch in bezug auf Nahrung mußte ich mich beherrschen – echte Nahrung, nicht die Nutrapillen, mit denen ich vorliebnehmen mußte. Immer häufiger schlüpfte ich hinter Daisys Rücken in die Küche und naschte von den Resten der Mahlzeiten. In gleicher Weise hungerte ich nach sexueller Erfüllung, die ich bei dem Zusammensein mit Tad kennengelernt hatte. Anzeichen für entsprechende Aktivitäten bemerkte ich auch bei meiner neuen Herrschaft.
    Eines Abends, als sie besonders lebhaft und geräuschvoll bei der Sache waren – der süße, würzige Rauch von Ekstaretten drang aus dem Schlafzimmer –, fühlte ich mich versucht, alle Vorsicht über Bord zu werfen und mich zu ihnen zu gesellen. Ich hätte es getan, wäre nicht Ally gewesen, die im entscheidenden Moment in ihrem Bettchen zu weinen begann. Also beruhigte ich sie und mich selbst in der Schaukel auf der Frontveranda. Es stand kein Mond am Himmel, doch über dem See lag der gespenstische, rosige Schein des Ventura Skyways. Aus der Mitte der Wasserfläche ragten die schwarzen, zerklüfteten Ruinen alter Bürohochhäuser, die man als Monumente einer vergangenen Epoche stehengelassen hatte. An diesem Abend wirkten sie besonders unheimlich, und bei ihrem Anblick kam mir zum ersten Mal die Tatsache der Sterblichkeit in den Sinn. Mir fiel ein, daß ich nicht viel älter war als das Kind in meinen Armen. Sie war elf Monate alt und ich zwei Jahre, uns trennten nicht mehr als dreizehn Monate. Doch in genau acht Jahren, wenn sie zu einer jungen Frau herangereift war, begann für mich die Phase des vorprogrammierten Verfalls mit anschließender Termination. Das schien mir furchtbar ungerecht zu sein. Ich hatte keine Kindheit gehabt, würde keine

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