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Mein Leben als Androidin

Mein Leben als Androidin

Titel: Mein Leben als Androidin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fine
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zu. Zu den Symptomen gehörten inzwischen häufige Schwindelanfälle, nagender Hunger mit gleichzeitiger Übelkeit, Mattigkeit und schmerzhaft geschwollene Beine, die ich nicht zu untersuchen wagte, weil das Bücken mir nicht bekam. Die einzige Erklärung, die ich mir denken konnte, lief darauf hinaus, daß mein Zustand aus der Unterdrückung starker Muttergefühle für Ally resultierte und durch die Trennung verschlimmert worden war, denn ich litt furchtbar unter dem Verlust. In dieser Stimmung fragte ich mich, ob es sich bei den Symptomen nicht gar um Vorboten der verfrühten Termination handelte, denn sie kamen und gingen täglich wie Ebbe und Flut, und auf dem Höhepunkt der Attacken mußte ich alle Kraft aufbieten, um nicht ohnmächtig zusammenzubrechen.
    Die Flut hatte wieder einmal ihren Höchststand erreicht, als die Nonnen kamen, deshalb muß ich besonders elend ausgesehen haben. Das war mein Glück, denn die jüngere der beiden, gesegnet mit dem freundlichsten Gesicht, das ich je gesehen hatte, überredete ihre Begleiterin, die Mutter Oberin, mich zu kaufen. Das Kloster hatte eine Tradition als erstklassige Lehranstalt zu wahren, argumentierte sie, also kam nur ein P9 in Frage. Sicher, ich war ein Reha-Modell, doch vieles sprach zu meinen Gunsten, zum Beispiel mein alabasterner Teint, der zu heiligenmäßig war, um ihn sich entgehen zu lassen.
    Eine neue Linie wurde meiner Produktkennung hinzugefügt, und schon flogen wir in einem Kirchenkombi zum Kloster und Waisenhaus Unserer Lieben Frau Vom Universum auf Pasadena Island, der Insel mit der höchsten Bevölkerungszahl in der Los- Angeles-Kette. Ich bekam eine Zelle ganz für mich allein (mit Bett, Waschgelegenheit und Rosenkränzen), einen neuen Namen – Schwester Maria Theresa – und eine neue Aufgabe – Katechismuslehrerin. Die nötige Qualifikation erhielt ich mittels der ubiquitären Datapillen. Auf diesem Wege verschlang ich im wahrsten Sinne des Wortes das Alte und Neue Testament und eignete mir gleichzeitig sämtliche für die Lehrtätigkeit unerläßlichen Kenntnisse und Fähigkeiten an, von den vorbereitenden Arbeiten und dem Unterricht bis zu formalisierten Tests und fundierten Antworten auf jede denkbare theologische Frage. Schon nach wenigen Stunden stand ich vor meiner ersten Klasse pubertierender Jugendlicher und präsentierte ihnen routiniert den ganzen Sermon, mit dem kleinen Schönheitsfehler, daß ich nicht die geringste Ahnung hatte, wovon ich eigentlich sprach. Sie verhielten sich mir gegenüber äußerst respektvoll, redeten mich höflich mit Schwester an und sprachen nur, wenn sie aufgerufen wurden, denn spontane Wortmeldungen waren selten. Die Pille ist noch nicht erfunden worden, die Schülerinteresse zu stimulieren vermag.
    Meine Schutzbefohlenen waren dunkler und untersetzter als die rosigen Exemplare, mit denen ich es in Newacres und New Tarzana zu tun gehabt hatte. Das überraschte mich, denn bisher hatte ich nicht geahnt, daß Menschen in verschiedenen Größen, Formen und Farben geliefert wurden. Durch Zufall belauschte ich ein Gespräch zwischen Schwester Anna – die freundliche – und einem zu Besuch gekommenen Kirchenbeamten, aus dem hervorging, daß meine Schüler Kriegswaisen waren, Opfer irgendeines endlosen Konflikts, der hundert Jahre lang in Mittelamerika getobt hatte. Sie gebrauchte den Ausdruck ›Freistatt‹, um die Rolle der Kirche zu beschreiben, und ich horchte auf. Existierte etwas Vergleichbares vielleicht auch für die entlaufenen P9, von denen ich gehört hatte? Oder für mich selbst, sollte ich durch irgendwelche Umstände in eine ähnliche Notlage geraten? Aber natürlich hielt ich meine Neugier im Zaum.
    Schwester Anna schaute immer mal wieder herein, um meine Fortschritte zu beobachten, und sie schien sehr zufrieden zu sein. In der Kapelle, die ich täglich aufsuchte – es wurde von mir erwartet, den Schülern mit gutem Beispiel voranzugehen –, knieten wir manchmal nebeneinander, und sie ordnete meine Rosenkränze, wenn sie sich verwickelt hatten, oder unterwies mich in der rechten Weise, die Hostie zu empfangen, denn ich neigte dazu, das heilige Symbol auf eine Weise herunterzuschlingen, die sich nicht mit meiner Stellung vereinbaren ließ. Mein Verhalten hatte seinen Grund nicht in mangelndem Respekt oder fehlender Ehrerbietung, vielmehr war mein Hunger mittlerweile so unerträglich geworden (unter Übelkeit und Schwindelgefühl litt ich kaum noch), daß ich mich auf jeden erreichbaren Bissen

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